Knochenfunde
Es heißt, die Demokraten wollen ihn zum Präsidentschaftskandidaten nominieren.«
»Ich traue keinem Politiker. Die stecken doch in Washington alle unter einer Decke und kratzen sich gegenseitig den Rücken.«
»Klingt ziemlich widerlich.« Joe musterte sie. »Aber du interes-sierst dich für die Sache. Man sieht es dir regelrecht an.«
»Ich bin halt neugierig, na und? Offenbar weiß Melton, wie er es anstellen muss, Neugier zu wecken«, sagte sie, ohne ihren Blick von ihrer Skulptur abzuwenden. »Er hat mir überhaupt keine Informationen gegeben, nur an meine patriotische Pflicht appelliert. Schwach-sinn.«
»Mehr hat er nicht gesagt?«
»Er meinte, wir würden darüber diskutieren, sobald ich den Auftrag annehme.« Sie glättete den Bereich unterhalb der Augenhöhlen.
»Ich wüsste mal gern, um wen es sich ihrer Meinung nach han-
delt…«
Eine Zeit lang schaute Joe ihr schweigend zu. »Louisiana im Oktober ist gar nicht schlecht. Wir könnten einen Ausflug nach New Orleans machen. Ich hab noch ein bisschen Urlaub übrig, und Jane würde es vielleicht auch gefallen.«
»Du bist nicht zu der Party eingeladen.« Sie verzog das Gesicht.
»Streng geheimer Auftrag.«
»Dann soll er uns den Buckel runterrutschen.« Er überlegte.
»Kann es sein, dass du ein bisschen gereizt bist? Ich habe mich doch noch nie in deine Arbeit eingemischt. Und falls du versucht bist, den Auftrag anzunehmen, ich glaube, wir beide könnten es schon ein paar Wochen ohne dich aushalten.«
»Warum sollte ich in Versuchung sein?« Sie wischte sich die
Hände an einem Tuch ab und trat ans Fenster. Der See schimmerte blau in der warmen Herbstsonne, und am Ufer spielte Jane mit ihrem neuen Welpen, den Eves Freundin Sarah Patrick ihr geschenkt hatte.
Sie warf einen Stock, und Toby rannte los, um ihn zu holen. Die beiden wirkten so lebhaft und gesund und glücklich.
Was sollte es auch für einen Grund geben, hier und jetzt nicht glücklich zu sein?
»Eve?«
Sie schaute über die Schulter zu Joe, ihrem Beschützer, ihrem besten Freund, ihrem Geliebten. Er war der ruhende Pol in ihrem Leben, und jede Minute mit ihm und mit Jane war kostbar. Sie lä-
chelte ihn an. »Nein, verdammt, ich bin nicht in Versuchung. Melton kann mich mal.«
»Sie hat abgelehnt«, sagte Melton, als Jules Hebert ans Telefon ging. »Sie meinte, ich solle mir Dupree holen.«
»Ich will Dupree nicht«, erwiderte Hebert. »Wir brauchen Eve
Duncan. Das hab ich Ihnen von Anfang an gesagt. Es muss Duncan sein.«
»Sieht so aus, als müssten Sie sich mit Dupree zufrieden geben.
Er hat einen guten Ruf.«
Hebert holte tief Luft. Er hatte sich auf wissenschaftlichen Web-sites Beispiele von Eve Duncans Arbeit angesehen und sie mit der anderer führender Gesichtsrekonstrukteure verglichen. Es war, als würde man ein Meisterwerk von da Vinci mit Höhlenmalerei vergleichen. Er konnte seinen Schädel keinem Neandertaler anvertrauen. Die Sache war viel zu wichtig. Melton und den anderen war sie auch wichtig, aber das interessierte Jules nicht. Jetzt nicht mehr.
Melton hatte einen sicheren Job in einer sicheren Welt. Er saß in seinem warmen Büro und brauchte nur mit dem kleinen Finger zu schnippen, um Männer wie Hebert in Bewegung zu setzen und sich von ihnen die Kohlen aus dem Feuer holen zu lassen. »Sie haben mir gesagt, ich soll Beweise liefern. Geben Sie mir Eve Duncan, und Sie bekommen Ihren Beweis.«
»Es war Ihr Fehler, und jetzt sehen Sie gefälligst zu, wie Sie das wieder in Ordnung bringen.«
Jules’ Hand umklammerte den Hörer. »Wenn es darauf an-
kommt, gibt es immer eine Möglichkeit zu kriegen, was man will.
Wo ist das Problem?«
»Ich schätze, sie geht so sehr in ihrer Familienidylle auf, dass sie außer ihrem Häuschen in Georgia nichts mehr interessiert. Aber was soll man von einer Frau schon anderes erwarten?«
»Hüten Sie sich, Frauen zu unterschätzen. Ich kenne einige, denen ich lieber aus dem Weg gehe, anstatt mich mit ihnen anzulegen.
Duncan ist offenbar sehr willensstark. Haben Sie es so versucht, wie ich es Ihnen vorgeschlagen habe?«
»Ja, sie schien sogar interessiert, aber es hat nicht gereicht, um sie zu einer Zusage zu bewegen.«
»Dann haben wir noch nicht auf den richtigen Knopf gedrückt.
Es muss eine Möglichkeit geben. Erzählen Sie mir von ihr.«
»Sie wissen doch, welches Ansehen sie genießt, sonst würden Sie nicht so hartnäckig darauf bestehen, dass sie den Auftrag übernimmt.«
Jules betrachtete die Zeitung
Weitere Kostenlose Bücher