Knochenfunde
gar nicht so dunkel. Es war der große,
dunkle Sarg, der seinen Schatten über Jules und Etienne warf.
Der seinen Schatten über die ganze Welt warf.
»Nein, Senator Melton«, sagte Eve bestimmt. »Ich bin nicht interessiert. Ich habe so viel Arbeit, dass ich bis zum Ende des Jahres beschäftigt sein werde. Ich möchte mir nicht noch mehr aufhalsen.«
»Es wäre uns eine enorme Hilfe, wenn Sie Ihre Meinung ändern könnten. Die Situation ist äußerst heikel, und wir brauchen Ihre Hilfe.« Der Senator zögerte. »Und als Bürgerin dieses Landes ist es Ihre patriotische Pflicht – «
»Kommen Sie mir nicht mit so einem Blödsinn«, fiel Eve ihm ins Wort. »Jedes Mal, wenn irgendein Bürokrat vorrangig behandelt werden will, zückt er diese Trumpfkarte. Sie haben mir noch nicht mal gesagt, worum es überhaupt geht bei diesem Auftrag. Ich weiß nur, dass ich mein Heim und meine Familie verlassen und nach Baton Rouge fahren müsste. Ich kann mir keinen Auftrag vorstellen, der wichtig genug wäre, mich dazu zu bewegen.«
»Ich sagte Ihnen ja bereits, die Situation ist sehr heikel und streng geheim, und ich bin nicht befugt, mit Ihnen darüber zu diskutieren, solange Sie sich nicht bereit erklärt haben – «
»Suchen Sie sich jemand anderen. Ich bin nicht die einzige Gesichtsrekonstrukteurin auf der Welt.«
»Aber Sie sind die Beste.«
»Bloß weil die Presse so viel Wirbel um mich macht, bedeutet das noch lange nicht, dass – «
»Sie sind die Beste. Falsche Bescheidenheit passt nicht zu Ihnen.«
»Meinetwegen, ich bin verdammt gut.« Sie holte tief Luft. »Aber ich stehe nicht zur Verfügung. Holen Sie sich Dupree oder McGil-van.« Sie legte auf.
Joe blickte von seinem Buch auf. »Melton schon wieder?«
»Der ist wirklich hartnäckig. Gott bewahre mich vor Politikern.«
Eve trat an den Sockel und glättete den Ton über dem Schädel. »Die sind so was von großkotzig.«
»Melton steht im Ruf, ein ziemlich nüchterner Typ zu sein. Auf jeden Fall ist er sehr beliebt. Es heißt, die Demokraten wollen ihn zum Präsidentschaftskandidaten nominieren.«
»Ich traue keinem Politiker. Die stecken doch in Washington alle unter einer Decke und kratzen sich gegenseitig den Rücken.«
»Klingt ziemlich widerlich.« Joe musterte sie. »Aber du interes-sierst dich für die Sache. Man sieht es dir regelrecht an.«
»Ich bin halt neugierig, na und? Offenbar weiß Melton, wie er es anstellen muss, Neugier zu wecken«, sagte sie, ohne ihren Blick von ihrer Skulptur abzuwenden. »Er hat mir überhaupt keine Informationen gegeben, nur an meine patriotische Pflicht appelliert. Schwach-sinn.«
»Mehr hat er nicht gesagt?«
»Er meinte, wir würden darüber diskutieren, sobald ich den Auftrag annehme.« Sie glättete den Bereich unterhalb der Augenhöhlen.
»Ich wüsste mal gern, um wen es sich ihrer Meinung nach han-
delt…«
Eine Zeit lang schaute Joe ihr schweigend zu. »Louisiana im Oktober ist gar nicht schlecht. Wir könnten einen Ausflug nach New Orleans machen. Ich hab noch ein bisschen Urlaub übrig, und Jane würde es vielleicht auch gefallen.«
»Du bist nicht zu der Party eingeladen.« Sie verzog das Gesicht.
»Streng geheimer Auftrag.«
»Dann soll er uns den Buckel runterrutschen.« Er überlegte.
»Kann es sein, dass du ein bisschen gereizt bist? Ich habe mich doch noch nie in deine Arbeit eingemischt. Und falls du versucht bist, den Auftrag anzunehmen, ich glaube, wir beide könnten es schon ein paar Wochen ohne dich aushalten.«
»Warum sollte ich in Versuchung sein?« Sie wischte sich die
Hände an einem Tuch ab und trat ans Fenster. Der See schimmerte blau in der warmen Herbstsonne, und am Ufer spielte Jane mit ihrem neuen Welpen, den Eves Freundin Sarah Patrick ihr geschenkt hatte.
Sie warf einen Stock, und Toby rannte los, um ihn zu holen. Die beiden wirkten so lebhaft und gesund und glücklich.
Was sollte es auch für einen Grund geben, hier und jetzt nicht glücklich zu sein?
»Eve?«
Sie schaute über die Schulter zu Joe, ihrem Beschützer, ihrem besten Freund, ihrem Geliebten. Er war der ruhende Pol in ihrem Leben, und jede Minute mit ihm und mit Jane war kostbar. Sie lä-
chelte ihn an. »Nein, verdammt, ich bin nicht in Versuchung. Melton kann mich mal.«
»Sie hat abgelehnt«, sagte Melton, als Jules Hebert ans Telefon ging. »Sie meinte, ich solle mir Dupree holen.«
»Ich will Dupree nicht«, erwiderte Hebert. »Wir brauchen Eve Duncan. Das hab ich Ihnen von Anfang an
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