Knochenlese: 5. Fall mit Tempe Brennan
beide Hände auf die Wunden und betete, dass rechtzeitig Hilfe eintreffen würde.
Mein Blut pochte in den Augen. Hundert Schläge. Tausend.
Ich flüsterte Molly ins Ohr, beruhigte sie, flehte sie an, bei mir zu bleiben. Meine Arme wurden taub. Mein Rücken brannte vor Schmerz in der gebückten Haltung.
Die anderen standen beisammen, um sich gegenseitig zu trösten, sprachen hin und wieder ein paar Worte oder nahmen sich in die Arme. Autos fuhren vorbei, deren Insassen in unsere Richtung schauten, neugierig zwar, aber nicht bereit, sich in das Drama verwickeln zu lassen, das sich hier auf der Straße nach Sololá abspielte.
Mollys Gesicht sah gespenstisch aus. Ihre Lippen waren an den Winkeln blau. Mir fiel auf, dass sie eine Goldkette, ein winziges Kreuz und eine Armbanduhr trug. Sie zeigte acht Uhr einundzwanzig. Ich suchte nach dem Handy, konnte es aber nirgends entdecken.
Der Regen hörte so plötzlich auf, wie er angefangen hatte. Ein Hund jaulte, ein anderer antwortete. Ein Nachtvogel ließ ein zögerliches Piepsen hören, wiederholte sich dann.
Nach langem Warten entdeckte ich endlich ein rotes Licht weit hinten auf dem Highway.
»Sie sind da«, flüsterte ich Molly ins Ohr. »Halt durch, Mädchen. Du kommst wieder ganz in Ordnung.« Blut und Schweiß klebten feucht zwischen meinen Händen und ihrer Haut.
Das rote Licht kam näher und teilte sich in zwei. Minuten später hielten ein Krankenwagen und ein Polizeiauto mit quietschenden Reifen am Straßenrand und besprühten uns mit Kies und heißer Luft. Rot blitzte auf feucht glitzerndem Teer, regennassen Fahrzeugen, blassen Gesichtern.
Molly und Carlos wurden von den Sanitätern erstversorgt, dann in den Krankenwagen geschafft und eiligst ins Krankenhaus in Sololá transportiert. Elena und Louis folgten, um ihre Aufnahme zu überwachen. Wir anderen durften, nachdem wir kurze Aussagen gemacht hatten, nach Panajachel zurückkehren, wo wir wohnten, während Mateo die Polizei aufs Revier in Sololá begleitete.
Das Team war untergebracht im Hospedaje Santa Rosa, einem preiswerten Hotel, das versteckt in einer Nebenstraße der Avenida El Frutal lag. Kaum hatte ich mein Zimmer betreten, zog ich mich aus, warf die schmutzigen Klamotten auf einen Haufen in die Ecke und duschte, wobei ich froh war, dass die FAFG die zusätzlichen Quetzals für warmes Wasser bezahlt hatte. Obwohl ich außer einem Käse-Sandwich und einem Apfel zum Lunch nichts gegessen hatte, vertrieben Angst und Erschöpfung jeglichen Appetit. Ich fiel nur noch ins Bett, traurig über die Opfer in dem Brunnen in Chupan Ya, voller Angst um Molly und Carlos.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, gequält von hässlichen Träumen. Scherben von Kinderschädeln. Pechschwarze Augenhöhlen. Armknochen umhüllt von verfaulendem güipil. Ein blutbespritzter Transporter.
Anscheinend gab es kein Entkommen vor dem gewaltsamen Tod, weder tags noch nachts, weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart.
Ich erwachte zu kreischenden Papageien und weicher, grauer Dämmerung, die durch meine Jalousie sickerte. Irgendetwas war entsetzlich verkehrt. Was?
Erinnerungen an die vergangene Nacht trafen mich wie eine kalte, betäubende Welle. Ich zog die Knie an die Brust und lag einige Minuten so da. Ich fürchtete die Neuigkeiten, musste sie aber unbedingt erfahren.
Ich warf die Bettdecke zurück, absolvierte ein abgekürztes morgendliches Ritual und zog dann Jeans, T-Shirt, Sweatshirt, Jacke und Kappe an.
Mateo und Elena tranken Kaffee an einem Tisch im Hof vor einer lachsrosa Wand. Ich setzte mich zu ihnen, und Señora Samines stellte mir eine Tasse Kaffee hin, während sie den anderen huevos rancheros, schwarze Bohnen, Kartoffeln und Käse servierte.
» ¿Desayuno? « , fragte sie. Frühstück?
» Sí, gracias. «
Ich goss Sahne in meinen Kaffee und schaute Mateo an.
Er wechselte ins Englische.
»Carlos hat eine Kugel in den Hals und eine zweite in den Nacken abbekommen. Er ist tot.«
Der Kaffee in meinem Mund wurde zu Säure.
»Molly wurde zweimal in die Brust getroffen. Sie hat die Operation überlebt, aber sie liegt im Koma.«
Ich sah Elena an. Ihre Augen waren lavendelfarben umrahmt, das Weiße wässerig rot.
»Wie?«, fragte ich und wandte mich wieder an Mateo.
»Carlos hat sich anscheinend gewehrt. Er wurde aus nächster Nähe neben dem Transporter erschossen.«
»Wird eine Autopsie durchgeführt?«
Mateo schaute mir in die Augen, sagte aber
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