Schwarze Tränen: Roman (German Edition)
Prolog
Silber- und Bleibergwerk
Teufelsgrund,
Schwarzwald
13 . September 1431
W ie ein Schleier aus schwarzen Tränen stürzte der Regen auf die Bergwelt hinab. Jacob, der unter einer Tanne Schutz vor den Wassermassen suchte, zuckte zusammen, als ein Blitz die Wolkendecke entflammte. Dem ersten folgte ein zweiter. Dann ein dritter. Ein fahlgelbes Wetterleuchten setzte die Wolkendecke in Brand, und mit ihm rollte ein Grollen von den Passwänden, das der Unterwelt selbst entstiegen zu sein schien. Die Arme eng um den durchfeuchteten Bergmannkittel geschlungen, trat Jacob unter den Zweigen hervor und sah argwöhnisch zum Nachthimmel auf. Irgendetwas stimmte mit den Wolken nicht. Sie erinnerten ihn an Schwaden glühenden Schwefels, und mit jedem Atemzug drängten mehr von ihnen über dem Tal zusammen. Instinktiv fasste er nach dem Griff seiner Bergbarte. Die Axt mit der langen Spitze gehörte zur traditionellen Ausrüstung der Bergleute und diente ihnen als Werkzeug und Waffe gleichermaßen. Allein ihre Nähe vermochte ihn heute nicht zu beruhigen.
Zum Teufel mit der Furcht! Er war doch sonst nicht so zimperlich. Wenn er sich zusammenriss, würde diese Nacht sein Leben von Grund auf verändern. Im Geiste sah er den riesigen Haufen Hacksilber schon vor sich, den ihm der Hutmeister und Oberste Bergwerksaufseher versprochen hatte. Für den Wochenlohn, für den er und die anderen Hauer sonst in der Grube schufteten, konnten sie sich nicht einmal ein Pfund Butter leisten. Er hingegen würde schon bald so reich sein, dass er sich im nahen Staufen jede Hure kaufen konnte, die er haben wollte – falls er nicht gleich in Freiburg sein Glück versuchte. Alles, was er dafür tun musste, war, den Fremden heimlich in den Berg zu führen. Dorthin, wo der seltsame Unfall passiert war – auch wenn er und die anderen Kumpel den Zwischenfall im Stollen für alles andere als natürlichen Ursprungs hielten.
Jacob trat zurück unter die Tanne und überprüfte, ob das Talglicht seiner Laterne noch brannte. Dann wanderte sein Blick zurück zu dem schlammigen Grubenpfad, der hinunter ins Dorf führte. Jenen Weg, den gewöhnlich die Knechte und Knappen nahmen, wenn sie zwischen Bergwerk und Siedlung hin- und herwechselten. Doch der Pfad lag noch immer verwaist und regennass vor ihm. Wo blieb der Kerl? Scheute er das schlechte Wetter?
Ein grelles Licht zuckte am Rande seines Sichtfeldes auf. Dem heftigen Donnerhall folgte ein mächtiger Windstoß, der Jacob von den Beinen fegte. Bäuchlings stützte er auf den Weg und blieb im Matsch liegen. Was, zum Henker …? Im nahen Wald prasselte es. Dort stand jetzt eine ausgewachsene Fichte in Flammen. Allmählich sickerte die Erkenntnis in sein Bewusstsein, dass keine zehn Schritt von ihm entfernt ein Blitz eingeschlagen war. Schwankend rappelte er sich wieder auf – als ihm eine selbstgefällige Stimme entgegenschlug. »Mitternacht! Pünktlich, wie immer.«
Jacob zerrte die Axt aus dem Gürtel und sah sich um. Unweit von ihm trat eine schlanke, hoch aufragende Gestalt aus dem Flackerlicht. Der Fremde trug einen dunklen Übermantel ohne Gürtel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Sein Gesicht war kaum mehr als ein blasser Schemen unter der breiten Krempe des tief in die Stirn gezogenen Lederhutes. Die Kopfbedeckung erinnerte Jacob an die eines Gelehrten, flößte ihm jedoch kein Vertrauen ein. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann. Nur wusste Jacob nicht zu sagen, was. Sein Blick irrlichterte hinüber zu dem ausgetretenen Grubenpfad. Wie war der Fremde hierhergelangt, wenn nicht über diesen Weg? »Seid Ihr der Doktor?«, krächzte er.
»Welch ein bewundernswertes Ausmaß an Scharfsinn.« Die Gestalt trat zwischen den Bäumen hervor und lüpfte die Krempe des Hutes. Im Licht der Flammen enthüllte sich Jacob ein bärtiges, fast asketisches Gesicht mit spitzer Nase und harten Augen, die ihn unnachgiebig musterten. »Gestatten, Magister Johann Georg Faust, Quellbrunn der Nekromanten, Astrologe, Erster der Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter in der Hydromantie. Wenngleich Letzteres auch einer neuerlichen Überprüfung bedürfte, für die mir im Moment aber die Zeit fehlt.« Ein spöttisches Lächeln kräuselte Fausts Lippen. »Du bist dieser Jacob, der mir als Führer versprochen wurde?«
»Äh, ja. Aber wie seid Ihr …?« Jacob stockte, denn schlagartig wurde ihm bewusst, was ihn am Erscheinungsbild des Gelehrten irritierte. Hut und Umhang glänzten nicht vor Nässe. Sie
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