Knochenzeichen
wieder im Wald. Nein, er brauchte sich wirklich nicht den Kopf zu zerbrechen.
Außer darüber, dass er ein neues Versteck für den Sack voller Knochen finden musste, den er auf dem Rücken trug.
1. Kapitel
Sieben Totenbahren aus rostfreiem Stahl standen nebeneinander im Obduktionssaal, jede belegt von einem teilweise zusammengefügten Skelett und einem großen Müllsack. Die Knochen glänzten unter dem Licht der Leuchtstoffröhren. Am Fuß der letzten Bahre lag ein Haufen loser Knochen, die einzeln aufgefunden worden waren. Caitlin Flemings erster Gedanke war, dass sie verloren wirkten. Ihrer Würde entkleidet, bis sie wieder zusammengesetzt werden und den sterblichen Überrest der Person bilden konnten, zu der sie einst gehört hatten.
Ihr zweiter Gedanke war, dass die Aussichten, diese Personen jemals zu identifizieren, ohne die Köpfe drastisch sanken.
»Was meinen Sie?«, wollte Sheriff Marin Andrews wissen. Ihre gestiefelten Füße machten dumpfe Geräusche, als sie von einer Bahre zur nächsten schritt. »Die Knochen lagen ziemlich lose in den Säcken, aber der Rechtsmediziner hat versucht, sie wieder zusammenzusetzen. Die Knochen, die verstreut auf dem Boden der Höhle gelegen haben, haben wir in einem separaten Leichensack abtransportiert. Die Bergungsaktion war ganz schön knifflig, das kann ich Ihnen sagen. Die Höhle zweigt von der ursprünglichen Ader ab und wird breiter und höher. Dann fällt sie gut zwei Meter in eine nur über einen steilen Schacht zugängliche Kammer ab. Die hier wurden wahrscheinlich von oben in die Kammer geworfen.« Sie musste Caits Zusammenzucken registriert haben, denn sie sprach rasch weiter. »Wir haben die Bergung von einem Anthropologen von der Universität überwachen lassen.«
Cait nickte. Sie wurde nur selten früh genug zu einem Fall hinzugeholt, um bei der Spurensicherung zugegen zu sein. Das hinderte sie allerdings nicht daran, sich zu fragen, was bei der Bergung zerstört oder übersehen worden sein könnte. »Ich will auf jeden Fall die Höhle sehen.«
Auf Andrews’ Miene zeichnete sich erst Erschrecken und dann Belustigung ab. »Das wird zu Ihrem Glück nicht nötig sein. Sie liegt an der Flanke des Castle Rock und ist nicht leicht zugänglich. Man steigt entweder von oben runter, oder man klettert fast zweihundertfünfzig Meter hinauf. Natürlich gibt es Wege, aber die könnten für jemanden ohne Klettererfahrung heikel werden. Wir brauchen keine Verletzten, noch ehe wir richtig angefangen haben.«
»Ich habe Klettererfahrung.« Cait wusste genau, was Sheriff Andrews sah, wenn sie sie betrachtete. Schließlich handelte es sich um das Aussehen, das sie über zehn Jahre lang kultiviert hatte. Doch ihre Tage auf den Laufstegen von New York, Mailand und Paris waren lange vorbei. Heute fühlte sie sich in einem Raum wie diesem genauso wohl wie auf einer Wanderung in den Blue Ridge Mountains.
Die andere Frau zuckte die Achseln. Sie war schätzungsweise fünfzehn Jahre älter als Cait und unattraktiv. Ihre stämmige Gestalt steckte in einer beigen Uniform. Ihr hellbraunes Haar war kurz geschnitten, und sie hatte haselnussbraune Augen. Doch Cait wusste besser als jeder andere, dass Äußerlichkeiten trügen konnten. Marin Andrews hatte den Ruf, eine hervorragende, wenn auch etwas zu ehrgeizige Polizistin zu sein. Und dieser Ehrgeiz, gepaart mit den Millionen ihres Vaters, sollte ihr Gerüchten zufolge den Weg ins Amt des Gouverneurs ebnen.
Caits Unterstützung in diesem Fall würde als Sprungbrett für dieses Ziel dienen.
»Ich dachte mir schon, dass Sie das Gelände sehen möchten. Der Waldbrand in den östlichen Cascade Mountains nimmt die Mitarbeiter der Forstaufsicht momentan ziemlich in Anspruch, aber wir haben Zach Sharper engagiert, damit er sich während der Ermittlungen zu unserer Verfügung hält. Er ist der Outdoor-Guide, der die Leichen gefunden hat. Er sagt, er hätte sich für einen Kunden vorbereitet, der ein paar unbekanntere Höhlen ergründen wollte, und da hat sich Zach in einigen der abgelegeneren umgesehen. Er dachte, er hätte eine neue entdeckt, als er auf das hier gestoßen ist.« Andrews gestikulierte mit der Hand zu den Skeletten hin. »Er hat ein Geschäft für Outdoorbedarf und organisierte Touren. Rafting, Kajakfahren, Klettern, Bergsteigen und so weiter.« Ihr abschätziger Blick verriet deutlicher als Worte, dass sie Cait ihre angebliche Klettererfahrung nicht abnahm. »Er gehört auch zum Such- und Rettungstrupp, wenn Camper und
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