Knuddelmuddel
nur weit nach Mitternacht, wenn die Restaurants geschlossen sind, und die Stadt für ein paar Stunden lang in so etwas wie Schlaf oder doch zumindest Dämmerzustand fällt. Jedenfalls hier in Campo de Ourique.
Ich fühle Wut in mir hochsteigen. Es fängt mit einem flauen Gefühl im Magen an, dass sich steigert, bis es heftiger Ärger ist. Ein Ball von Wut im Bauch.
Wie konnte er mir das nur antun?
Noch dazu an meinem Geburtstag!
Einem runden Geburtstag, übrigens. Am fünfzigsten, ausgerechnet am fünfzigsten, das ist sowieso schon ein gefährlicher Geburtstag, dieser fünfzigste, da hat man eh Mühe, seine gute Laune zu behalten. Selbst bei größtem Optimismus und mit guten Genen ist das endgültig das Bergfest und ab jetzt wird die Zeitspanne der Zukunft kleiner und die Zeitspanne der Vergangenheit größer. Und zwar täglich. Es ist vielleicht noch nicht die Endrunde, aber es geht jetzt wirklich drauf zu. Und es ist eine Einbahnstraße.
Ich bin in Versuchung, mit dem Fuß aufzustampfen wie ein dreijähriges Kind in der Hoffnung, dass der Ärger einfach durch den Fuß in den Parkettboden abgeleitet wird, wie in einer Art Blitzableiter und warum nicht, warum eigentlich nicht, vielleicht funktioniert es ja. Ich stampfe tüchtig mit dem Fuß auf und gleich noch mal hinterher, und noch mal, wie beim Flamenco Stomping bei der Salsa Aerobic, tac tac tac, aber es hilft nichts. Wie konnte er mir das nur antun? Das ist so unglaublich, so unfaßbar, so gemein.
João ist der Mann, für den ich in Deutschland alles aufgegeben habe.
Bine und Andrea haben sofort gesagt, Elke, du bist verrückt, wie kannst du hier nur alles aufgeben, für einen Mann, den du nur aus dem Urlaub kennst, dreimal drei Wochen in der Sonne, das ist doch keine Grundlage für ein Leben. Und meine Mutter hat gesagt, wenn du schon zu ihm ziehst, Elke, dann bestehe wenigstens darauf, dass er dich heiratet. Und ich würde noch an ihre Worte denken. Gut – sie hat recht gehabt und ich denke jetzt an ihre Worte – aber was nützt es? Nix nützt es.
João wollte nicht heiraten. Auf gar keinen Fall. Noch eine Ehe kam für ihn nicht in Frage. Er war geschieden – ich bin es übrigens auch – und er hat gesagt: warum soll man einen Fehler zweimal machen? Noch dazu in unserem Alter. Und irgendwie hatte er damit ja auch recht.
João ist Mitte fünfzig. Er ist Architekt, hat in Cascais ein Büro mit zwei anderen Kollegen und sie steckten damals mitten drin in einem großen Auftrag, da konnte er seine Kollegen natürlich nicht im Stich lassen, und das habe ich auch verstanden. Also habe ich in Deutschland alles aufgegeben und bin zu ihm gezogen. Habe meine Wohnung in Hamburg-Winterhude aufgegeben, meinen Job im Buchladen in der Gertigstraße, die Frühstücke mit Andrea und Bine am Sonntagmorgen. Die haben wir nämlich immer beibehalten, unsere Sonntagmorgen-Frauen-Frühstücke. Vieles in unserem Leben hat sich geändert im Laufe der Jahre. Wir sind älter geworden, natürlich, wir haben Männer geliebt und verloren, leider. Wir haben geheiratet und uns scheiden lassen, jedenfalls die Andrea und ich. Bine ist mit ihrem Mann immer noch zusammen, ist mir ein Rätsel, wie sie das geschafft haben, all die Jahre, ist ja schon bewundernswert, die sind jetzt praktisch dreißig Jahre zusammen, was für eine lange Zeit.
Bine hat zwei Kinder bekommen, groß gezogen und ins Leben entlassen. Andrea hat nach ihrer Scheidung ein Jahr lang in China Deutsch unterrichtet und ist danach ein halbes Jahr durch Südamerika getrampt. Und ich habe all die Jahre im Buchladen gearbeitet. Und ja, der Job im Buchladen war jetzt nicht der super Karrierejob, das ist mir auch klar. Aber trotzdem. Ich konnte gut davon leben, ich hatte nette Kollegen und die Arbeit hat Spaß gemacht. Schon alleine der Geruch von neuen Büchern. Die Freude jedes Mal, wenn ein neues Buch eine spannende Geschichte verspricht und einen in eine andere Welt eintauchen läßt.
Vorbei.
Jetzt arbeite ich in einem Reisebüro in der Baixa , dem Downtown von Lissabon. Da tauche ich auch in andere Welten ein. In meinen Reiseprospekten. Auf den Plakaten. Am Computer. Aber irgendwie ist es anders. Die Traumwelten, die wir anbieten, werden gleichzeitig immer gleicher und immer bunter. Und die Kunden werden immer anspruchsvoller und wollen es immer billiger haben, oder wie es bei uns im Reisebüro heißt: preisgünstiger. Und im Grunde geht es meistens sowieso doch nur um mit Alibi-Kultur garniertes gutes Wetter
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