Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
und sie klang jetzt sehr mutig, als sie rief:
»Ist da jemand? Kommen Sie nicht näher! Ich habe ein Gewehr in der Hand! Ich schieße sofort!«
»Und ich lasse Jacky los!« erklang Wandas jetzt etwas kreischende Stimme. »Jacky, paß auf!«
Natürlich hat sie kein Gewehr, dachte Kochlowsky. Sie hat nie eines gehabt. Aber es klingt gut. Wenn er wirklich ein Einbrecher gewesen wäre, würde er es sich jetzt überlegen. Mein tapferes, kleines Frauchen … es gibt keine Bessere als dich auf der Welt.
Er ging weiter, ein Schatten gegen den fahlen Nachthimmel, und trat in den Hof des Hauses.
In diesem Augenblick blitzte es aus einem Fenster, ein Knall folgte, und eine Kugel pfiff nahe an Kochlowskys Kopf vorbei ins Dunkel. Obgleich er nie gedient hatte, machte er einen Satz zur Seite und warf sich in Deckung. Nicht eine Sekunde zu früh, denn schon peitschte der zweite Schuß durch den Garten. Flach geduckt lag Kochlowsky in seinem kleinen Weißkohlfeld.
Und dann raste Jacky heran, heulend vor Wut, stürzte sich auf den Mann, bremste fast im Sprung, duckte sich, schnupperte und begann dann in einer völlig anderen Tonart zu heulen. Es war ein Wimmern voll unfaßbarer Freude. Er fiel über Leo her, leckte ihn, greinte, sprang um ihn und auf ihn und stieß dann Laute aus, die man noch nie von einem Hund gehört hatte. Es klang wie ein zerrissenes Weinen.
»Jacky, mein Liebling!« stammelte Kochlowsky. »Ja, ja, ich bin es! Jacky! Oh, mein Kleiner. Mein Sauhund! Frauchen hat ja wirklich ein Gewehr! Frauchen hätte Herrchen bald totgeschossen. Geh hin zu ihr … lauf, lauf … sag ihr, wer hier im Kohl liegt. Wenn ich den Kopf hebe, ballert sie wieder los … lauf, Jacky …«
Ob der Hund ihn verstand? Er hörte jedenfalls auf, ihn zu lecken und zu umspringen, raste zum Haus zurück und verschwand hinter der einen Spalt weit geöffneten Hoftür. Kurz darauf kam er zurück, aber es folgte ihm jemand, und aus dem Haus erklang Sophies verzweifelte, in der Angst sich überschlagende Stimme:
»Wanda! Bleib hier! Bist du verrückt? Bleib hier! Wanda …«
Die Petroleumlampe schwankte im Türrahmen, dahinter ahnte man eine zarte Gestalt im Schlafrock und mit aufgelösten Haaren.
Leo Kochlowsky erhob sich vorsichtig auf die Knie, fing Jacky auf, der ihn wieder ansprang, und sagte zu der kleinen, heraneilenden Gestalt:
»Aber Wanda, mein Liebling … warum wollt ihr mich denn totschießen?«
Als sei es etwas ganz Natürliches, daß ein Vater nachts in einem Kohlfeld liegt, blieb Wanda vor Kochlowsky stehen, betrachtete ihn mit schief geneigtem Kopf, wandte sich schließlich um und rief mit heller Stimme ins Haus:
»Leg das Gewehr hin, Mama … es ist nur Papa …«
An der Hoftür zerbarst mit lautem Knall die Lampe auf dem Steinfußboden.
Die Klinik Dr. Kirchhoff auf dem Weißen Hirsch wurde am nächsten Morgen telegraphisch davon unterrichtet, daß der Herr Kommerzienrat zu Hause eingetroffen sei. Das Privatsekretariat bitte um die Abschlußrechnung.
Hammerschlag gab das Telegramm auf, brachte das geliehene Pferd zur Kutschenstation zurück und kam dann zu Kochlowskys Haus. Kochlowsky lag im Bett, las das Tagblatt und hatte ausgiebig gefrühstückt. Hammerschlag setzte sich zu ihm auf die Bettkante.
»Das ist von allem, was du dir bisher geleistet hast, der Gipfel«, sagte er.
»Darauf bin ich stolz«, brummte Kochlowsky.
»Und wie soll es nun weitergehen?«
»Ich übernehme wieder die Ziegelei.«
»Nur mit ärztlicher Erlaubnis!«
»Ich habe von Ärzten die Nase voll. Sie können mich alle kreuzweise … Ich bin gesund! Und zwar gegen die Ärzte! Ich habe – sooft ich konnte – immer das Gegenteil von dem getan, was sie anordneten. Die Pillen und Tabletten habe ich aus dem Fenster geworfen oder beim Spaziergang im Park in die Erde getreten. Und die Zäpfchen«, er grinste verschmitzt, »kaum waren sie drin, ich zum Lokus – raus waren sie wieder! Und was sagen die Ärzte, die blöden Hunde? ›Hervorragend! Merken Sie nicht selbst, wie gut die Mittel anschlagen? Jetzt haben wir alles im Griff.‹ Wenn ich das alles geschluckt hätte, wäre ich jetzt verblödet! Aber so: Ich fühle mich wohl wie tausend Säue! – Hat das nicht Goethe gesagt?«
»So ähnlich.« Hammerschlag schüttelte den Kopf. »Was machen wir jetzt mit dir?«
»Mich in Ruhe arbeiten lassen.«
»Davon überzeuge erst mal den Baron.«
»Wenn ich nächsten Montag in meinem Ziegeleibüro sitze, wird er überzeugt sein.«
»Dort sitzt
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