Brunetti 08 - In Sachen Signora Brunetti
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D ie Frau ging ruhigen Schrittes auf den leeren campo. Zu ihrer Linken gähnten die vergitterten Fenster einer Bank, leer in jenem wohlbehüteten Schlaf, der sich in den frühen Morgenstunden einstellt. Sie ging bis zur Mitte des Platzes und blieb dort neben den durchhängenden Ketten um das Denkmal für Daniele Manin stehen, der sich für die Freiheit der Stadt geopfert hatte. Wie passend, dachte sie.
Von links hörte sie ein Geräusch und drehte sich danach um, aber es war nur ein Wachmann der Guardia di San Marco mit seinem hechelnden Schäferhund, der viel zu jung und gutmütig aussah, um auf Diebe gefährlich zu wirken. Falls der Wachmann es seltsam fand, morgens um Viertel nach drei eine Frau in mittleren Jahren reglos auf dem Campo Manin stehen zu sehen, ließ er sich davon nichts anmerken; er steckte weiter seine orangefarbenen Zettel zwischen die Türrahmen und Schlösser der Geschäfte, Beweise dafür, daß er seine Runde gemacht und den jeweiligen Besitz unangetastet vorgefunden hatte.
Als der Wachmann und sein Hund fort waren, ging die Frau von der Absperrkette weg und stellte sich vor ein großes Schaufenster auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Im schwachen Licht der Innenbeleuchtung betrachtete sie die Poster, las die Preise der verschiedenen Sonderangebote und sah, daß Mastercard, Visa und American Express akzeptiert wurden. Über ihrer linken Schulter trug sie eine blaue Stofftasche. Mit einer Körperdrehung schwang sie die schwere Tasche nach vorn, stellte sie ab und blickte darauf hinunter, bevor sie mit der rechten Hand hineingriff.
Noch ehe sie etwas herausnehmen konnte, wurde sie durch Schritte von hinten so erschreckt, daß sie die Hand wieder aus der Tasche riß und sich aufrichtete. Aber es waren nur vier Männer und eine Frau, die um drei Uhr vierzehn am Rialto aus einem Boot der Linie 1 gestiegen waren und nun auf dem Weg in einen anderen Stadtteil den campo überquerten. Keiner von ihnen beachtete die Frau, und ihre Schritte verhallten, als sie über die Brücke zur Calle della Mandola gingen.
Wieder bückte die Frau sich, griff in ihre Tasche, und diesmal kam ihre Hand mit einem großen Stein heraus, der jahrelang auf ihrem Schreibtisch gelegen hatte, Andenken an einen Strandurlaub in Maine vor gut zehn Jahren. Er hatte die Größe einer Grapefruit und paßte genau in ihre behandschuhte Hand. Sie betrachtete den Stein und warf ihn sogar ein paarmal kurz hoch wie einen Tennisball beim Aufschlag. Dann blickte sie von dem Stein zum Schaufenster und wieder auf den Stein.
Sie trat etwa zwei Meter weit zurück und drehte sich zur Seite, noch immer mit Blick auf die Scheibe. Sie führte die rechte Hand in Kopfhöhe nach hinten und hob den linken Arm als Gegengewicht, wie ihr Sohn es sie in einem Sommer gelehrt hatte, als er ihr beibringen wollte, wie ein Junge zu werfen und nicht wie ein Mädchen. Einen Augenblick ging ihr der Gedanke durch den Kopf, daß ihre nächste Handlung ein immerwährender Einschnitt in ihrem Leben sein könnte, aber sie tat dies sogleich als pathetische Wichtigtuerei ab.
Mit einer fließenden Bewegung brachte sie die Hand mit aller Kraft nach vorn. Erst als der Arm ganz ausgestreckt war, ließ sie den Stein los. Der Schwung der eigenen Bewegung riß sie dabei nach vorn, so daß sie unwillkürlich den Kopf senkte und die Glassplitter, die von der berstenden Scheibe spritzten, in ihren Haaren landeten und sie nicht verletzten.
Der Stein mußte eine Spannungsverwerfung im Glas getroffen haben, denn statt ein kleines Loch von seiner eigenen Größe zu schlagen, öffnete er ein etwa zwei Meter hohes und ebenso breites Dreieck. Sie wartete, bis das Klirren der fallenden Scherben verstummte, doch kaum hatte es aufgehört, begann im hinteren Teil des Büros der schrille Doppelton einer Alarmanlage in den stillen Morgen hineinzuplärren. Die Frau stand aufrecht da und zupfte abwesend die Glassplitter vorn von ihrem Mantel, dann schüttelte sie, als wäre sie soeben aus einer Welle aufgetaucht, energisch den Kopf, um die Splitter wegzuschleudern, die sie in ihrem Haar fühlte. Sie trat zurück, hob ihre Tasche auf und warf sie sich über die Schulter, doch als sie plötzlich merkte, wie weich ihre Knie geworden waren, ging sie zu einem der niedrigen Pfosten, an denen die Ketten hingen, und setzte sich darauf.
Sie hatte sich vorher keine Gedanken darüber gemacht, aber nun überraschte es sie doch, wie groß das Loch war, so groß, daß ein Mensch leicht
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