Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
allen Hinweisen nachgehen und beweisen, dass unser
Sohn kein Terrorist, kein Mörder ist.«
Marius überlegte einen Moment, bevor
er sich für eine Antwort entschied. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Ich glaube
nicht, dass ich der Richtige dafür bin.«
»Wir haben niemand sonst«, antwortete
Ahmed.
Nach der Enge des Hinterzimmers wirkte das Büro wohltuend leer. Auf
dem Küchentisch im ehemaligen Besprechungsraum, den Marius jetzt als Arbeitszimmer
nutzte, lag ein dicker Umschlag mit 50-und 100-Euro-Scheinen, die Anzahlung der
Ökçans, die Marius schließlich akzeptiert hatte. Als er das Hinterzimmer verlassen
hatte, standen auf dem Tresen drei Tüten mit Obst und Gemüse, die Ahmeds Söhne für
ihn gepackt hatten. Marius wollte sie zunächst nicht annehmen, genau wie das Geld,
aber der Händler hatte darauf bestanden. Daraufhin hatte Marius die Gelegenheit
genutzt und seine offenen Rechnungen bezahlt. Jetzt standen die Tüten neben dem
Umschlag auf dem Tisch und Marius räumte ihren Inhalt, soweit nötig, in den Kühlschrank.
Im Anschluss warf er seine Jacke im hinteren Zimmer, das früher das Büro seines
Chefs gewesen war, auf seine Matratze. Nachdem er die Detektei übernommen hatte,
hatte er sich recht bald schon fragen müssen, ob er zuerst seine Wohnung oder sein
Büro kündigen müsse, weil das Geld hinten und vorne nicht reichte. Er hatte sich
für die Wohnung entschieden. Das Büro war billiger und lag besser.
Der Detektiv hatte sich breitschlagen
lassen, eine Untersuchung zu führen, die ihn wahrscheinlich überforderte, und von
der er annahm, dass sie zu einem Ergebnis führen könnte, das der Familie des Toten
nicht gefallen würde. Marius hatte keinen Grund daran zu zweifeln, dass Ali Ökçan
das Attentat verübt hatte. Vielleicht würde die Gewissheit seinen Eltern helfen?
Von daher konnte es nicht schaden, sich die Ermittlungen der Polizei einmal genauer
anzuschauen und um ein paar eigene Recherchen zu ergänzen.
Er verschob sein abendliches Krafttraining.
Stattdessen setzte er sich an den Laptop und las online die Presseberichte zum Anschlag
auf den Treuen Husar. Das BKA hatte zügig gearbeitet und Ali Ökçan als Täter identifiziert.
Er war unter den Opfern und hatte Kontakte zu islamistischen Kreisen. Laut einem
Gutachten, das der ermittelnde Beamte Jan-Peter Goldberg präsentiert hatte, passte
Ali genau in das Profil eines fundamentalistischen Selbstmordattentäters: männlich,
jung, technisch interessiert, islamistisch vernetzt, unauffällig.
Während die überregionale Presse
sich im Anschluss an die aktuelle Berichterstattung auf die politische Diskussion
nach Sinn und Unsinn neuer Sicherheitsmaßnahmen stürzte, ging die Berichterstattung
der Kölner Medien in eine andere Richtung. Sie kreiste um die Frage, ob Karneval
weitergefeiert oder abgesagt werden sollte. Wie Marius erwartet hatte, argumentierten
die meisten Offiziellen des Karnevals für ein Weiterfeiern: Die echten Kölner ließen
sich die Feierei ohnehin nicht verbieten. Die Diskussion über zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen
wurde dabei erstaunlich sachlich geführt. Ein Wirt brachte es auf den Punkt: Es
gebe keine totale Sicherheit. ›Wir können alle durchsuchen, die reinwollen‹, zitierte
ihn eine Kölner Zeitung auf ihrer Homepage, ›dann sprengt sich der Islamist halt
im Pulk vor der Kneipe in die Luft.‹
Das brachte Marius auf einen anderen
Gedanken. Wenn er davon ausging, dass Ali Ökçan unschuldig war, stellte sich eine
einfache Frage: Was hatte er in der Kneipe zu suchen? Alis Vater hatte ihm zum Abschied
eine elegante Visitenkarte in die Hand gedrückt und Marius dabei unbeabsichtigt
daran erinnert, dass er so etwas Praktisches nicht besaß. Der Detektiv wählte die
Nummer auf der Karte. Doch niemand hob ab: »The person you have called is temporarily
not available«, sagte eine künstliche Frauenstimme stattdessen.
Marius spann den Gedanken weiter:
Wenn nicht Ali Ökçan der Attentäter war, wer dann? Im hinteren Teil der Küche stand
ein Whiteboard, für Marius Sandmann das erste Instrument, wenn er in einem neuen
Fall seine Gedanken sortieren musste. Mit einem roten Textmarker begann er, das
Board vollzuschreiben. Wer war in den Fall involviert? Worum ging es überhaupt?
Welchen Spuren wollte er nachgehen? Nach zehn Minuten war auf der Tafel kein Platz
mehr. Marius trat einen Schritt zurück und betrachtete die Notizen. Selbst ein scheinbar
klarer Fall barg noch genügend offene Fragen.
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