Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
las er weitere Berichte
über das Attentat. Dieses Mal ergänzte er seine Lektüre um die offiziellen Verlautbarungen
der Kölner Polizei und des BKA. Mit seinen Fragen im Hinterkopf musste er feststellen,
dass weder Presse noch Polizei viel Konkretes zu berichten hatten. Entweder hielten
die Ermittler Informationen zurück oder sie hatten erstaunlich wenige Beweise für
eine Täterschaft Ali Ökçans. Er würde versuchen, mit den ermittelnden Beamten des
BKA Kontakt aufzunehmen. Zwar war er sich nicht sicher, ob dieser Goldberg mit einem
Privatdetektiv über seine Ermittlungen reden würde, einen Versuch war es in jedem
Fall wert, und das Argument, dass die Familie des Terroristen versuchte, Gewissheit
zu erlangen, sollte vielleicht den Zugang zu dem Beamten erleichtern.
Bis dahin allerdings konnte er vielleicht
seine erste Frage klären. Aus dem Anrufspeicher seines Mobiltelefons suchte Marius
Mustafa Ökçans Nummer heraus und drückte auf die Wahltaste. Dieser meldete sich
fast augenblicklich.
»Eine Frage habe ich noch«, sagte
der Detektiv, »hat Ihr Sohn Karneval gefeiert?«
Der Vater überlegte keine Sekunde.
»Nein, wir sind alle nicht mit diesen Bräuchen vertraut. Das war nichts für meinen
Sohn.«
Marius bedankte sich und legte auf.
Zumindest an der Ehrlichkeit seines Klienten bestand für ihn kein Zweifel. Nur:
Wenn Ali nicht Karneval feiern wollte, was hatte er dann am 11. November in einer
vollen Karnevalskneipe verloren?
3
Kommissarin Paula Wagner blieb nicht lange Zeit, um sich über Jan-Peter
Goldberg zu ärgern. Wenige Stunden, nachdem sie die Kneipe ›Zum Treuen Husar‹ verlassen
hatte, weckte sie ihr Mobiltelefon aus einem unruhigen Schlaf.
»Wagner«, murrte sie in das Gerät,
während sie sich schwerfällig aus den Laken schälte. Dabei stellte sie fest, dass
sie nur die Jeans ausgezogen, den dunkelbraunen Rollkragenpullover aber angelassen
hatte.
»Paula?«, hörte sie Bergkamps Stimme,
die am Telefon immer ein wenig schrill klang. »Wir haben zu tun.«
Während die Kommissarin in die Jeans
vom Vortag schlüpfte, klingelte es bereits an der Wohnungstür. Die Hose im Laufen
hochziehend, zumachend und dabei missmutig bemerkend, dass sie wieder zugenommen
hatte, drückte sie den Knopf der Gegensprechanlage.
»Kommst du runter?«
»Zwei Sekunden«, antwortete Paula
knapp, zog ihre Stiefeletten und ihre Jacke an und eilte aus der Wohnung.
Draußen parkte Bergkamp auf der
anderen Straßenseite des vierspurigen Konrad-Adenauer-Ufers und hupte kurz, als
Paula aus dem Hauseingang trat. Sie sah, wie er sich anschließend von der Hupe am
Lenkrad zurück auf den Beifahrersitz beugte. Paula überquerte die um diese Zeit
ausgestorbene Straße, stapfte über den feuchten Rasen des Grünstreifens, der die
Fahrbahnen voneinander trennte und schwang sich auf der anderen Straßenseite auf
den Fahrersitz des Opels, gurtete sich an und fuhr los.
»Was haben wir?«
»Eine Rheinleiche oben in Mülheim.«
Paula stöhnte auf. »Weil irgendein
Karnevalist betrunken in den Rhein gefallen ist, müssen wir morgens um halb fünf
raus? Verdammte Scheiße!«
»Mir hat man in der Ausbildung beigebracht,
Fragen zu stellen und offen an einen Tatort heranzugehen. Und erst danach Antworten
zu geben. Oder gar ein Urteil zu fällen.«
»Halt die Klappe, Hannes!«
Paula Wagner trat das Gaspedal durch.
Hannes Bergkamp packte den Griff über dem Seitenfenster, um wenigstens ein bisschen
Halt zu finden.
Die restliche Fahrt ans Mülheimer Rheinufer schwiegen die beiden Polizisten.
Paula Wagner schaltete das Radio an. Der Moderator verkündete, dass die Bundesanwaltschaft
gegen 9 Uhr eine Pressekonferenz mit Details zu dem Attentat im Treuen Husar geben
würde. Mittlerweile sei durchgesickert, dass ein islamistischer Einzeltäter für
den Anschlag verantwortlich sei. Sie schaltete das Radio aus und genoss stattdessen
die frühmorgendlich freien Straßen. Hannes Bergkamp hatte sich schon vor Jahren
abgewöhnt, irgendetwas über Paulas Fahrstil zu sagen. Er selbst hasste es, Auto
zu fahren. Sie hingegen liebte es. Obwohl sie dabei ständig fluchte.
Paula genoss besonders die Fahrt
mit dem Wagen über Wege, die anderen Kraftfahrzeugen verboten waren. Nachdem sie
über die Zoobrücke den Rhein überquert hatte, rollte sie nun gemächlich die dunklen
Wege des Rheinparks hinunter, bis sie kurz vor dem Flussufer auf zwei Streifenwagen
und den Van der Spurensicherung stieß. Die Kommissarin parkte den Vectra hinter
den
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