Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
schwarze
Winterstiefel. Marius schüttelte den Männern die entgegengestreckten Hände. Der
Händedruck des Bruders war fest, die Frau senkte den Blick, als er vor ihr stand.
Immer noch hatte der Detektiv keinen Schimmer, warum er hier war.
»Vielleicht können wir nach hinten
gehen?«, fragte Mustafa Ökçan. Ahmed nickte eifrig, antwortete etwas auf Türkisch
und führte seinen Bruder, dessen Frau und den Detektiv mit hektischen Bewegungen
in einen mit einem Vorhang abgetrennten Raum hinter dem eigentlichen Ladenlokal.
Sie betraten ein kleines, mit Bananenkisten, zwei Stühlen und einem Uralt-Computer
vollgestelltes Zimmer, das ihn an eine Gefängniszelle erinnerte. Während die Frau
an der Tür stehen blieb, setzten sich Marius und Mustafa auf die beiden Stühle in
der Mitte des Raumes. Ahmed lehnte sich für einen kurzen Moment an den Schreibtisch,
sprang auf und lief in dem kleinen Raum hin und her, dabei permanent auf Türkisch
auf seinen Bruder einredend. Marius verstand kein Wort, außer seinem Namen. Für
eine unbezahlte Rechnung war das alles entschieden zu dramatisch. Schließlich unterbrach
er den Redefluss des kleinen Gemüsehändlers.
»Dürfte ich vielleicht mal erfahren,
worum es eigentlich geht?«
An Ahmeds Stelle antwortete sein
Bruder. »Unser Sohn! Sie sagen, er wäre ein Terrorist!« Mehr zu sagen, gelang ihm
nicht, denn seine Frau unterbrach weitere Ausführungen ihres Mannes mit einer samtweichen,
energievollen Stimme. Zu gerne hätte Marius verstanden, was Gönmez Ökçan ihrem Mann
gesagt hatte.
»Vielleicht fangen wir ganz von
vorn an?«, schlug der Privatdetektiv vor.
»Gut«, der Mann im blauen Mantel
stimmte zu. »Mein Name ist Mustafa Ökçan, ich bin Ahmeds Bruder. Zusammen mit meiner
Frau habe ich einen Sohn, Ali.« Mustafa zögerte, bevor er sich korrigierte. »Ich
hatte einen Sohn. Jetzt ist er gestorben.« Ahmeds Bruder versuchte vergeblich, eine
Zigarette aus einem Päckchen in seiner Jackettasche zu nesteln. Seine Hände zitterten
zu stark. Der Gemüsehändler reichte ihm eine aus seiner Packung und gab ihm Feuer.
Dann bot er Marius ebenfalls eine an, der Privatdetektiv schüttelte den Kopf. Mustafa
inhalierte tief, bevor er weitersprach. »Sie haben von dem Attentat gehört?«
»Natürlich.«
»Die Polizisten sagen, mein Sohn
habe das getan.« Der Türke ließ Marius keine Zeit, diese Nachricht sacken zu lassen.
»Das ist unmöglich.« Mustafas Frau
fiel ihrem Mann erneut ins Wort. »Unser Sohn ist kein Terrorist! Er ist ein guter
Junge. Er studiert!«
Es lag eine Bestimmtheit in diesen
Worten, die Marius irritierte. Gönmez Ökçan wirkte um einiges gefasster als ihr
Mann. Dennoch zweifelte Marius nicht an ihrer Aufgewühltheit, die sie vor ihm, dem
Fremden, zu verbergen suchte.
Ahmed schaltete sich ein. »Ich kenne
meinen Neffen von klein auf. Er hat hier gearbeitet, als meine Söhne noch zu jung
waren. Es ist unvorstellbar, dass er das getan hat. Wirklich unmöglich!«
»Er kann … – er konnte niemandem
etwas zuleide tun«, ergänzte sein Bruder.
»Warum sollte er so etwas tun? Er
fühlt sich wohl in diesem Land. Er hat hier eine Zukunft.« Die Stimme der Frau hatte
einen fast flehenden Unterton.
Marius unterbrach die drei. »Also,
die Polizei sagt, Ihr Sohn sei der Attentäter aus der Südstadt? War er denn unter
den Opfern?«
Ahmed, Mustafa und Gönmez Ökçan
schwiegen einen Moment.
»Auch wenn er unter den Opfern ist:
Sie müssen uns glauben, er könnte so etwas nicht tun. Das ist unmöglich.«
Eigentlich hätte Marius den Ökçans
erklären müssen, dass nur die wenigsten Eltern eine Vorstellung davon hatten, was
ihre erwachsenen Kinder trieben. Marius’ Vater erkundigte sich immer noch danach,
wie das Studium lief, dabei hatte Marius die Kunstgeschichte schon vor Jahren aufgegeben.
»Wie alt war Ihr Sohn?«
»22«, antwortete Ahmed, während
die Mutter ein Foto hervorkramte, das sie Marius in die Hand drückte.
»Schauen Sie! Sieht mein Sohn aus
wie ein Mörder?«
Marius betrachtete den jungen Mann
auf dem Foto, dessen braune Augen warm und ernst in die Kamera schauten. Sein Hemd
strahlte weiß unter einem schwarzen Sakko. Vermutlich ein Bewerbungsfoto. Er gab
es der Frau zurück. »Sicher nicht.« Was sollte er sonst sagen? »Nur: Was wollen
Sie von mir?«
»Die Wahrheit!«, fuhr es förmlich
aus dem Vater heraus. »Wir müssen allen zeigen, dass unser Sohn unschuldig ist.«
»Wir wollen«, ergänzte seine Frau,
»dass Sie alles untersuchen,
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