König 01 - Königsmörder
rechte Hand schwebte über dem Griff des Dolchs. Wenn er das verdammte Ding herauszog, würde er dann gleich hier auf dem Boden verbluten? »Sofort. Peitscht diesen verdammten Esel, bis er auf der Straße umfällt, und blickt nicht zurück. Nix ist auf dem Weg hierher, ich werde schon zurechtkommen. Sagt Seiner Hoheit, dass ich ihm Glück wünsche. Sagt Asher, dass es mir leidtut.«
»Ja«, erwiderte Darran zitternd und griff nach Matts Arm, um ihn aus der Zelle zu ziehen.
Matt riss sich los. »Wartet.« Seine Benommenheit war verebbt. Unter den Prellungen und den Blutflecken sah er wieder aus wie er selbst, wie der ruhige, tüchtige Mann, der die Ställe des Prinzen geleitet hatte. »Wir werden niemals unerkannt aus der Stadt herauskommen.«
»Vielleicht doch!«, rief Darran. »Wir müssen es riskieren!«
»Nein«, sagte Matt und drehte sich zu Darran um. Dann breitete er die Hände weit aus und legte sie auf das Gesicht des alten Mannes. »Steht still. Dies wird schnell gehen – hoffe ich.«
Schmerzgepeinigt beobachtete Orrick, wie Matts zerschundenes Gesicht sich verzog und den letzten Rest Farbe verlor. Unter seinen Händen schrie Darran protestierend auf.
»Was tut Ihr da? Hört auf! Hört auf!«
Matt ließ die Hände sinken und taumelte ein wenig. Hätte er sich nicht mit der Schulter an die Wand der Zelle gelehnt, wäre er zu Boden gefallen. »Hat es funktioniert?«, murmelte er. »Ich habe es noch nie zuvor getan. Jemand anderer hat es einmal mit mir gemacht.«
Sprachlos vor Schreck betrachtete Orrick Darrans veränderte Züge. Einen Augenblick zuvor waren sie mager gewesen. Er hatte eine gerade Nase und ein scharfes Kinn gehabt. Ein vertrautes Gesicht. Jetzt trug Darran das Gesicht eines Fremden, der zehn Jahre jünger war, gemütlich und wohlbeleibt, mit einer Knollennase und einem Spinnennetz von Adern, das sich über seine Wangen zog. Schließlich fand er die Stimme wieder und flüsterte ungläubig: »Es hat funktioniert. Ihr seid getarnt, Darran. Mit Magie.«
Darran ächzte. »Barl steh uns bei! Nicht Ihr auch, Matt!«
Matt, der immer noch an der Wand lehnte, drückte die Hände auf sein eigenes Gesicht. Dann stöhnte er auf, ein Laut extremen Ungemachs, würgte und glitt beinahe zu Boden. Als er die Hände sinken ließ, wurde ein zweiter Fremder sichtbar.
»Man nennt es Verschleierung«, erklärte er heiser. Sein neues Gesicht war grau und schweißnass. »Aber wir werden uns beeilen müssen. Es wird nicht lange anhalten.«
»Dann geht«, sagte Orrick grimmig. »Sofort!«
Sie rannten los. Allein und blutend, lag der Hauptmann der Wache mit dem Gesicht nach oben auf dem Boden der Gefängniszelle. Bevor er sich fragen konnte, ob er richtig gehandelt hatte, wurde die Welt um ihn herum zuerst scharlachrot, dann schwarz. Sein letzter klarer Gedanke, bevor er das Bewusstsein verlor, war ein Gebet.
Süße Gesegnete Barl, gib, dass ich mich nicht irre.
Morg erwachte spät in seinem von Dienern freien Haus, und gönnte sich für eine Weile den Luxus des Schweigens. Schweigen war ein Gegenmittel gegen die Erinnerung an Holzes beharrliches Gejammer…
»Conroyd, Ihr müsst Euch in der Öffentlichkeit als der Wettermacher zeigen. Conroyd, Ihr müsst in den Palast ziehen. Conroyd, Ihr müsst die Edelleute zurückrufen, die jetzt auf dem Land ihre Zeit vertrödeln. Ernennt einen Kronrat… beschwichtigt die besorgte Bevölkerung… entscheidet Euch für einen Erben… benennt einen Meistermagier. Conroyd… Conroyd… Conroyd…«
Er hatte die Absicht, den Geistlichen
persönlich
an seine Dämonen zu verfüttern, wenn die Mauer endlich fiel.
Sein bedauerlicherweise unvermeidbares Treffen mit dem Mann hatte Stunden gedauert. Während all der Zeit hatte er genickt und gelächelt und Zustimmung angedeutet, was immer notwendig war, um den Geistlichen loszuwerden. Aber es schien, als hätte Holze einen unerschöpflichen Vorrat an Meinungen gehortet. Und er, Morg, durfte nicht riskieren, etwas zu unternehmen. Eine schnelle, verstohlene Untersuchung von Holzes Geist hatte ihm einen Mann gezeigt, der eigenartig gut geschützt war gegen Manipulationen. Eine weitere Einmischung von Seiten Barls? Er konnte es nicht sagen. Es kümmerte ihn nicht; am Ende würde es keinen Unterschied machen. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte er den Vortrag überlebt, ebenso wie Holze ihn – mit knapper Not – überlebt hatte. Jetzt musste er seine ganze Willenskraft auf das Einzige richten, das zählte: Der nächste Schritt
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