König 01 - Königsmörder
Der alte Mann zuckte die Achseln. »Ich denke, Ihr müsst es tun, Herr. Wir sind zu weit gegangen, um es nicht zu tun.«
Der Prinz seufzte. »Ihr seid kein Mörder, Pellen. Asher ist nicht tot. Der Mann, der gestern Nacht sein Leben verloren hat, war ein Fremder für mich. Asher lebt, irgendwo, und wenn wir unser Königreich vor der Zerstörung retten wollen, müsst Ihr mir helfen, ihn zu finden.«
Orrick spürte, dass seine Beine unter ihm nachgaben. Er taumelte und wehrte die Hände ab, die sich ihm entgegenstreckten, um ihm zu helfen. An eine kalte Steinmauer gelehnt, presste er sich eine Hand aufs Gesicht und rang mühsam um Atem.
»Dies ist Wahnsinn«, murmelte er. »Die faulige Frucht der Überarbeitung. Ich muss träumen.« Er ließ die Hand sinken und sah den Prinzen an. »Sagt mir, dass ich träume!«
»Wenn Ihr träumt, Pellen, dann ist es ein Albtraum. Und wir anderen sind mit Euch in diesem Albtraum gefangen.« Der Prinz griff in seinen zugeknöpften Mantel und zog ein zerfleddertes, in Leder gebundenes Buch heraus. Es sah uralt aus. »Dies ist das Tagebuch der Gesegneten Barl. Durm hat es entdeckt und seine Existenz verborgen gehalten. Es enthält unsere lange verlorene Magie… und eine Beschwörung, die ein Fenster in der Mauer öffnet.«
»Ein Fenster in…? Eure Hoheit…«
»Ich weiß«, sagte der Prinz hastig. »Ich weiß, wie das klingt, aber bitte, hört mir weiter zu. Ich glaube, dass Durm diesen Zauber benutzt hat.« Bitterkeit und Bedauern verzerrten seine Züge. »Er war immer ein neugieriger Mann. Und ein arroganter Mann. Davon überzeugt, dass er niemals in Gefahr war, ganz gleich, welche Risiken er einging.«
Orrick löste sich von der Wand und verschränkte die Hände hinterm Rücken. Vergraben unter Verwirrung und Verständnislosigkeit lag Scham, Scham darüber, dass er so undiszipliniert gewesen war, sich sein Entsetzen so deutlich anmerken zu lassen. »Also schön. Ein Fenster. Aber was hat das mit Asher zu tun? Mit irgendetwas?«
Der Prinz schob das Tagebuch wieder in seinen Mantel. »Alles. Als Durm dieses Fenster in der Mauer öffnete, denke ich, ist etwas hinter ihm hindurchgeklettert, und dieses Etwas ist jetzt hier bei uns und trachtet nach bösartiger Zerstörung. Ich denke, es hat meine Familie getötet und will uns alle töten. Das ist der Grund, warum ich Asher finden muss. Er ist der Einzige, der über Magie gebietet und dem ich vertrauen kann, dagegen zu kämpfen.«
»Gegen
was,
Herr? Niemand weiß, was jenseits der Mauer liegt! Niemand weiß, wer dort lebt!«
»Wir wissen, wer früher dort gelebt hat.«
Orrick brauchte einen Moment, um zu begreifen, wovon der Prinz sprach. Als er es tat, wäre er beinahe zu Boden gesunken.
»Morg?
Herr, Ihr redet wirr!«
Gar schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre so. Pellen, Morg wusste, wie er sich unsterblich machen konnte. Vergesst nicht: Er war ein Magier mit Kräften, die wir nicht einmal ansatzweise erfassen können. Die Doranen Lurs sind bloße Schatten im Vergleich zu unseren Vorfahren und zu dem, was sie tun konnten. Was sie getan haben. Es steht alles in dem Tagebuch, und ich sage Euch, es ist beängstigend.«
War Wahnsinn ansteckend? Er fing an, dem Prinzen zu glauben. »Falls Ihr Recht habt – falls Morg tatsächlich unter uns ist –, wie kommt es dann, dass niemand etwas bemerkt hat?«
»Weil er klug ist. Er versteckt sich.«
»Wo?«
Der Prinz senkte für einen Moment den Blick und atmete tief durch. Dann blickte er auf und antwortete: »In Conroyd Jarralt.«
Orrick wandte sich ab, eine Faust auf die schmerzende Brust gepresst. Barl rette ihn… Barl rette ihn… Aber er glaubte es. Gestern Nacht. In all dem Aufruhr. Er hatte König Conroyds Gesicht gesehen, als dieser Ashers Enthauptung befahl. Er hatte ihn anschließend gesehen, während er sich am Anblick des Leichnams weidete. Etwas Unmenschliches und Unnatürliches lauerte dort, tief unter seinen Knochen.
Der Prinz sagte leise: »Ich bin das letzte lebende Mitglied des Hauses Torvig, Pellen. Jahrhundertelang hat meine Familie ihr Blut für die Bewahrung dieses Königreichs vergossen. Bei allem, was heilig ist, in diesem geheiligten Haus der Ruhe, vor ungezählten Generationen meiner Familie schwöre ich,
schwöre
ich, dass ich Euch nichts als die Wahrheit gesagt habe.
Bitte.
Werdet Ihr mir helfen?« Orrick starrte zu Boden. Die Zeit blieb stehen, hing an seiner Antwort. Er blickte auf. »Ja, Gar. Ich werde Euch helfen. Und wenn sich
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