König für einen Sommer: Roman (German Edition)
... Bitte, bitte, bitte. Hold me, hold me up so high and never let me down ... Lass mich nicht fallen. Hold me, hold me up so high to touch the sky just one more time ... Nur einmal noch. Take me in your arms tonight, take me in your arms just one more time ... Nur noch ein einziges Mal. Just one more time ... Es tut mir so schrecklich Leid. Just one more time ... Nie wieder. Ich glaube, in diesem Augenblick begriff ich erst richtig, dass es tatsächlich vorbei war. Ich fing an zu weinen. Nicht wie jemand, dem man etwas weggenommen hat, sondern wie jemand, der Schmerzen hat, große, enorme körperliche Schmerzen. Es tat weh, so verdammt weh, als würde mein Innerstes Stück für Stück explodieren und sich in brennende Tränen auflösen. An der Wand hing ein großes gerahmtes Foto von Chris. Sie hatte es mir zu unserem Zweijährigen geschenkt. Damals hatte sie noch kurze Haare, fiel mir auf. Gott, wie gut sie aussah. Dieses Foto war immer da gewesen, an der Wand zwischen Jimmy Dean und Audrey Hepburn. Ich hatte es lange nicht beachtet, wozu auch? Ich hatte die echte Chris, die ich ansehen konnte. Jetzt drängte sich mir dieses Bild auf, unbarmherzig wie das morgendliche Piepen meines Weckers, und genauso hasste ich es, weil es mir mein Versagen, meine grenzenlose Dummheit vor Augen hielt und den Himmel, den ich nie wieder würde berühren können. Ich nahm die leere Tequila-Flasche und warf sie mit meiner ganzen Wut auf mich selbst an die Wand. Das Glas zersplitterte und das Bild fiel krachend herunter, genau auf meine Anlage. Die Musik verstummte. Ich stand auf, um den Schaden zu begutachten. Nach zwei Schritten kam der Boden auf mich zugerast und knipste mir das Licht aus.
SEIFE, TÄGLICH
ÜBER CHRIS hinwegzukommen dauerte vier Monate. Nicht, dass ich gerne den Leidenden spiele, aber es dauerte eben so lange. Anfangs habe ich wieder und wieder versucht Chris zurückzugewinnen. Vergeblich, ihre Entscheidung war endgültig. Sie hatte etwa zwei Monate etwas mit Wolf laufen, kickte ihn dann aber auch: meine einzige Freude in dieser Zeit. Ich ging allem und jedem aus dem Weg. Nichts ist schlimmer als jemand, der einem ständig dasselbe vorheult, und so jemand wollte ich nicht sein, also verkroch ich mich in meiner Wohnung und ließ niemanden herein. Das Semester an der Uni ließ ich komplett sausen. Ich hätte dort zu viele Leute getroffen, die ich nicht sehen wollte, Chris eingeschlossen. Anfangs trank ich sehr viel. Ich saß einfach stumpf auf meiner Couch, hörte Musik und trank, bis ich einschlief. Es half nicht. Nicht nach drei Wochen, nicht nach fünf Wochen und nicht nach zwei Monaten, also hörte ich auf zu trinken. Von einem Tag auf den anderen rührte ich keinen Alkohol mehr an. Die ersten fünf Tage konnte ich nicht schlafen, was es natürlich nicht unbedingt besser machte, denn jetzt gab es nur noch mehr Zeit, in der ich darüber nachdenken musste, was für ein Trottel ich gewesen war. Danach ging es langsam bergauf. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, morgens mit einem klaren Kopf aufzuwachen, und allmählich gewöhnte ich mich daran. Ich las sehr viel in dieser Zeit. Nicht für die Uni, sondern seit langem einmal wieder nur für mich und aus reinem Vergnügen. Dann fing ich an zu schreiben. Ich schrieb Briefe an Chris, die sie niemals lesen würde, seitenweise, tonnenweise, bis ich merkte, dass ich all diese Briefe nicht für sie, sondern für mich geschrieben hatte, und ich warf sie weg. Das war der Punkt, an dem ich endlich loslassen und zu mir selbst sagen konnte: Es geht mir gut.
Es war bereits Mitte Juni, als ich mich wieder unter die Lebenden traute. Eine heiße Dusche und eine Rasur ließen mich wider Erwarten halbwegs menschlich aussehen und so machte ich mich eines Abends gegen 21 Uhr auf den Weg ins Jenseits, in der Hoffnung, Flo und die anderen Jungs dort zu treffen.
Das Jenseits war eine kleine Kneipe mit einer spärlichen, aber zweckdienlichen Einrichtung. Im hinteren Teil des Raums, der durch zwei mit Holz verkleidete Säulen abgetrennt war, stand ein Billardtisch. Die Theke war u-förmig, nicht besonders groß; es hatten etwa zehn Leute daran Platz. In der Mitte des Raums standen drei Bistrotische mit jeweils vier Stühlen. Neben den obligatorischen Spielautomaten schmückten alte Konzertplakate aus den 70ern die Wände. Das Jenseits war kein In-Schuppen. Es war nicht neu, nicht modern, nicht hip, und deswegen gefiel es mir so sehr. Das Publikum war bunt gemischt, vom Schlosser bis zum
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