Königsallee: Roman (German Edition)
empfangen worden. Aber eine Begegnung mit Albert Kesselring – rarer Träger des Eichenlaubs mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes und der Frontflugspange hin, gelegentlicher Gast her –, wäre eine Affäre, ein Skandal. Das schwante einem.
Albert Kesselring hatte Luftflotten befehligt. Der Getreue der Nazis hatte die Heinkel- und Focke-Wulf-Bomber, seine sogenannten Reichsfeuerzeuge, koordiniert, die Warschau, Rotterdam – und das bei den Holländern im Haus! – und London teils flächendeckend in Schutt und Asche gelegt hatten. Als die eigenen Flugzeuge und Flieger dezimiert waren, hatte er sich auf italienischem Boden entfalten können. Nach einem Partisanenattentat in Rom hatte der Generalfeldmarschall in einer Höhlengegend mehrere hundert italienische Geiseln durch Genickschuß massakrieren lassen. Noch im Frühjahr vor dem Ende hatte der Militär unter vier Augen mit dem Führer weitere Strategien besprochen … Der aufsehenerregende Prozeß gegen Kesselring nach dem Krieg, in Venedig, hatte diese Kriegsereignisse, Untaten oder Verbrechen ans Licht gebracht. Die Todesstrafe war in Haft und das Lebenslänglich in eine vorzeitige Entlassung umgewandelt worden. Der Generalfeldmarschall war leidend geworden. Seine späte Order – auch angesichts der plötzlichen Sturheit des Papstes, den Vatikan zu räumen –, Rom kampflos den Alliierten zu überlassen, galt vielen als Sympathiebonus für die Knute Italiens. Freiheit für Kesselring! war in einer Pressekampagne verlangt worden, und Unschuldige kann man nicht amnestieren hatte die Frankfurter Zeitung , die auch im Hotel mehrfach auslag, vor wenigen Jahren getitelt … Nun, nicht wenige Menschen im zerrissenen Land wollten sich nicht auch noch ihre letzten Heroen entreißen lassen. – Aber mußte Herr Kesselring, gut pensioniert, sich jetzt zum Bundesführer des neugegründeten Frontkämpfervereins Stahlhelm wählen lassen, Memoiren unter dem Titel Soldat bis zum letzten Tag vorlegen? Vielleicht bereuten die Richter die Haftverschonung wegen eines Krebsleidens schon. Albert Kesselring lächelte weiter, er lächelte immer, auch beim Empfang seiner Zimmerschlüssel. «Smiling Albert» nannten ihn die Briten und Amerikaner. Aufgrund eines Nervendefekts im Gesicht mußte der Armeechef Süd auch beim Erteilen des Massakerbefehls unverrückt gelächelt haben.
Durchaus ein formvollendetes Ehepaar, Albert und Pauline Kesselring. Er weniger knickrig mit Trinkgeldern als sie. Bei Whisky plauderte er gern an einem Bartisch, und natürlich längst in Zivilkleidung, mit Herren der Walzwerke, Hochöfen und Maschinen, von denen er vor Jahren robuste Stukamotoren gefordert hatte. Nach korrekter Verbeugung schien man sich oft nur schweren Herzens zu trennen. Derzeit fehlten ihnen vielleicht die einsatzfähigen Armeen und Stoßtrupps.
Siemer war dankbar, daß über ihm ein Direktor den Hausfrieden garantieren mußte. Weltberühmter Humanist und unbelehrbarer Stahlhelmführer in einer Stadt, im selben Haus – ein Alp. Der zivile Kontrahent des Geiselmörders konnte auf der Stelle packen lassen und empört Düsseldorf den Rücken kehren. Vor seinem großen Auftritt. Ein unausdenklicher Skandal. Nobelpreisträger entflieht Faschistenbleibe ! Direktor Merck mußte informiert werden … und vorbeugen. Die Weltpresse observierte Deutschland. Ein noch so hochdekorierter Totengräber des Vaterlands und das Aushängeschild des Vortrefflichen in einem Raum zum Gabelfrühstück – unmöglich. Und natürlich konnte man dem Stahlhelmführer für ein zügiges Entschwinden und eine gewisse allgemeine Entspannung keine Blausäurekapsel neben den Zahnputzbecher legen. Ein Hotel war kein Sittengericht. Einige von Kesselrings Gönnern und Kampfgenossen hatten beizeiten zugegriffen. Was zögerte der Reichsvollstrecker noch in einer feindseligen Welt, die den Endsieg des Germanentums vorerst abgebrochen hatte? Der blutumwallte Großpensionär wirkte, so gesehen, beinahe kleinkariert und gehemmt.
«Was ist passiert?» fragte Herr Friedemann scheu.
«Frau Kesselring hat doch schon mal abgesagt?»
«Letztes Jahr entschieden sie sich knapp für das Gästehaus der Flicks.»
«Auch das wäre eine Lösung.»
«Wieso?»
«Hauptsache jetzt keine Gauleiter, Kriegsgewinnler, KZ-Baumeister und ehemalige Vernichtungsjuristen wie Staatssekretär Globke im Haus … das verkraften wir nicht.»
«Wir sind ziemlich ausgebucht.»
«Der Affront.»
«Müssen die jetzt
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