0436 - Tanz auf dem Scheiterhaufen
Was hinter dem Schlund lag, wußte niemand. Wer hineingetrieben wurde, der mußte zunächst durch den Vorhang aus Flammen. Er waberte vor dem Gesicht, dem Maul und in der Öffnung. Shao, die Chinesin, hatte es ebenfalls erwischt. Sie war vom Sozius des Motorrads gewirbelt worden, als die Kraft plötzlich angriff. Der Schlund wartete.
Eine fauchende, rote Hölle, von Hexenkraft und Hexenmagie angefacht, war sie bereit, alles zu vernichten oder zu verschlingen, um es möglicherweise nie wieder auszuspeien. Die Chinesin mit den wehenden Haaren war nicht die einzige, die durch das Hexentor gezogen wurde.
Neben ihr schwebten zwei Frauen und ein Mann. Ihre Gesichter waren angstvoll verzogen, auch sie hatte es überraschend erwischt, und eine Erklärung für dieses Phänomen besaßen sie ebenfalls nicht.
Hinein in den Schlund, hinein in das Feuer, in die Flammen der Hölle.
Shao schrie. Sie hatte die Arme vorgestreckt und die Hände gespreizt, als könnte sie so das Grauen stoppen, das auf sie wartete.
Es war zu nahe.
Ein letzter Schub katapultierte Shao über den Rand und die Unterlippe hinweg in das flammenerfüllte Maul mit dem Namen Hexentor. Eine andere Welt nahm sie auf.
Die Welt besaß keine Grenzen. Sie fühlte sich leicht wie eine Feder, wollte nur weiter hinein in diese Welt stoßen, um irgendwo zu landen und das Leben genießen zu können. Auch hinter ihr wirbelten noch Menschen hinein. Einen davon kannte sie gut.
Es war Suko, ihr Partner. Er hatte nichts mehr getan, um sie zu retten.
Wahrscheinlich war das auch nicht mehr möglich gewesen, aber er folgte ihr, und das gab Shao Mut.
Bis zu dem Augenblick, als alles anders wurde. Das Tor, die Flammen, die schwebende Leichtigkeit, nichts mehr existierte. Und auch keine Grenzen.
So wurde Shao zusammen mit den anderen Menschen und Fahrzeugen eine Gefangene der grenzenlosen Hexenwelt…
***
Wir werden Suko und Shao zurückholen. Ob tot oder lebendig. So hatte ich gesprochen und diesen Schwur getan, aber konnte ich ihn auch halten? Momentan sah es nicht danach aus. Das Hexentor, aus dem Nichts und trotzdem mit Hilfe meines durch die Große Mutter manipulierten Kreuzes, war wieder verschwunden. Es gab auch keinen Stromausfall mehr in der unmittelbaren Umgebung. Die Straßenlaternen brannten wieder, in den Häusern leuchteten ebenfalls die Lichter, die Menschen konnten aufatmen. Auf dem Grundstück jedoch, auf dem wir uns aufhielten, war es düster. Vor uns stand ein verfallenes Haus, ein wenig versteckt hinter hohem Unkraut und schief gewachsenem Buschwerk. Das Haus hatte keiner kaufen wollen, es stand lange leer, bis es von einer Hexengruppe entdeckt worden war.
Sieben Dienerinnen der Schwarzen Magie hatten sich in dem Haus eingenistet, um in den Kellerräumen ihren finsteren Beschwörungen nachzugehen.
Sie waren zu allem entschlossen gewesen, denn sie hofften auf die Kraft der Großen Mutter, die, als Statue im Keller verborgen, ihnen ein anderes Leben ermöglichen sollte.
Sie hatten es nicht geschafft, und auch Jane Collins war von ihnen nicht getötet worden.
In unserer Nähe standen die fünf übriggebliebenen Hexen. Von Bill und Jane mit Silberkugel-Berettas in Schach gehalten. Ihre Anführerin Ghislaine, war von unserem Sieg so geschockt gewesen, daß sie sich verwirrt zeigte.
Auch jetzt noch sprach sie nur von der Großen Mutter, irrte im ungepflegten Garten umher und suchte verzweifelt nach ihrer großen Göttin, der sie alles zu verdanken hatte.
Ebenfalls den Irrsinn…
Schließlich war sie es leid, auf und ab zu laufen. Sie hockte sich auf den feuchten Boden und drückte ihr Gesicht gegen die beiden Handflächen. Um die anderen vier Hexen kümmerte sie sich nicht mehr. Eine von ihnen machte einen noch ziemlich benommenen Eindruck. Sie hatte mich im Keller mit dem Messer attackiert. Mir war nichts anderes übriggeblieben, als sie niederzuschlagen.
»Immer können wir auch nicht hier herumstehen«, sagte Bill und schaute mich an. »Hast du einen Vorschlag?«
»Ja, lauf zu irgendeinem Nachbarn und rufe beim Yard an. Die sollen einen Mannschaftswagen schicken.«
»Da gehe ich lieber zu mir.«
»Auch gut. Aber laß mir deine Beretta da.«
»Sehr gern.« Bill warf mir die Waffe zu, die ich geschickt auffing. Meine Pistole hatte ich Jane Collins überlassen. Sie und ich standen so weit auseinander, daß wir sie von zwei verschiedenen Seiten aus bedrohen konnten. Die Frauen sprachen kein Wort. Sie starrten dumpf zu Boden. Sie hatten verloren
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