Königsallee: Roman (German Edition)
hatte noch den Genuß, die gestreiften und gepunkteten Düfte an sich vorbeischwingen zu lassen.
Polstertüren, Tannhäuser , elektrische Heizdecken, ein Extravorrat an Phanodorm-Schlaftabletten, Stöße von feinstem Schreibpapier – falls denn im Hause der Beginn einer Novelle, eine historische Mitteilung, gar ein Romananfang zustande kommen sollte – waren parat. Jetzt fehlten nur noch die Benutzer.
«Ich loche.»
Der Russensplitter in Oskar Siemers Wange juckte heftig und wanderte anscheinend zum Ohr. Nur nicht kratzen. Seit Weltbeginn hatte kein Kratzen eine Reizung beruhigt. Der Hauptgast würde mit der Präsidentensuite zufrieden sein. Außer dem hervorragend abdunkelbaren Schlafzimmer umfaßte sie einen großen und einen intimeren Salon. Direktor Merck hatte die Order erteilt, im Falle einer Nachfrage am besten ein wenig nuschelnd – damit die Lüge nicht allzu deutlich würde – zu erklären, daß die Suite nach Präsident Heuss benannt worden sei. Die Erwähnung von Reichspräsident Feldmarschall Paul von Hindenburg, der dort genächtigt hatte und nach dem die Suite eigentlich benannt worden war, wäre eher zu vermeiden. Alles, was auf den Untergang der Weimarer Republik hinweise und damit auch auf das seinerzeit bereits vergreiste Staatsoberhaupt, das den böhmischen Gefreiten zum Kanzler ernannt hatte, mochte den Gast verstimmen, der nach dieser Aktion für fast zwanzig Jahre das Land gemieden hatte. Also, die neue Heuss-Suite bot jeglichen Komfort: Bar, weißes Telefon, Bidet und zum Frischluftschnappen Fenstertüren zur Balustrade. Die restlichen Suiten waren nach Schlössern der näheren und ferneren Umgebung benannt: Benrath, Jägerhof, Augustusburg. Das Ehepaar schlief getrennt, allerdings Wand an Wand. Zwar besaß Benrath nur einen kleinen Salon. Doch auch dort konnte die Gattin, die laut Hörensagen alles Geschäftliche regelte und als eine Art Familienvorstand fungierte, jederzeit empfangen, diktieren, auf einer Chaiselongue pausieren. Da die Dame aus reichem jüdischem Hause stammte, zumeist auf der Flucht vor Widrigkeiten ausschließlich Villen möbliert hatte und mitsamt ihren Liebsten jahrelang sogar Nachbarin Albert Einsteins gewesen war, hatte der Breidenbacher Hof zuwenigst das Dekor von Benrath veredelt. Angegilbte Stahlstiche mit Schäferidyllen waren durch die stimmige Ölwiedergabe des Rokokopalais’ vor den Toren Düsseldorfs ersetzt worden. Das hätte längst geschehen können.
Der Luxus pur.
Dazu war die Küche auf die erdenklichen Gaumenschmeicheleien vorbereitet. Weiße Trüffel waren nicht zu bekommen gewesen. Immerhin dunkle aus dem Périgord hatte der Chef de Cuisine, umständlich genug in solchen Aufbaujahren, über einen Kollegen in Luxemburg besorgen können. Auch Pumpernickel für einen schlicht herzhaften Genuß war selbstverständlich vorhanden.
Konnte es überhaupt irgendwelche Gäste geben, für die Polstertüren angeschafft, Nazi-Marschälle ausgeladen und Edelpilze geschmuggelt werden mußten? Augenscheinlich. Vor engerer Runde hatte Direktor Merck angekündigt: Dieser Gast nimmt einen Bann von Düsseldorf. Wo er erscheint, zerfließen die Schatten. Er ist Kultur, und zwar in Reinform. Was uns noch als Luxus erscheint, ist nur ein Vorbote von Zivilisation. Für die steht er wie für Kultur. Wenn er zufrieden hier geweilt hat, kann nach ihm jeder kommen. Er segnet uns mit seinem Wort. Die gläubige Diätköchin hatte den Kopf gesenkt. Wenn er dann irgendwo auf der Welt kundtut: Düsseldorf erlebte ich als eine herzliche, weltoffene und sogar festliche Stadt, so sind wir wieder in den Kreis der besten Völker, Pardon!, ich meine, der um alles Gute bemühten Nationen oder vielmehr Menschen zurückgekehrt. Also gehen Sie leise auf den Gängen, bedienen Sie aufmerksam und dezent, achten Sie darauf, daß ungestüme Bewunderer oder, das könnte es leider durchaus auch geben, haßerfüllte Elemente sich nicht einschleichen. Sie wissen: So mancher bezichtigt Emigranten der Feigheit und des Landesverrats .
Die anwesenden Kollegen hatten einander verhangen prüfend angeschaut. Was hatte, falls man überlebt hatte, die Gefühle stärker bestimmt? Der Siegestaumel nach dem Frankreichfeldzug oder das Entsetzen darüber im amerikanischen Princeton? Die Suche nach Brot oder die womöglich triumphalen Gefühle bei der Rückkehr ins daniederliegende Europa? Wer hatte mehr gelitten? Man selbst hier im Zusammenbruch? Oder er bei seinen Blicken über den Ozean? Doch war Leiden
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