Körper-Haft (German Edition)
E-Mail von Natalie. Sie enthielt keinerlei Text. Lediglich in der Betreffzeile stand ein einzelnes Wort:
»Danke«
Frei?
Eigentlich hätte ich überglücklich sein müssen. Aber nichts davon stellte sich ein. Stattdessen schlich sich eine beispiellose Bitterkeit in meine Gedanken ein. Zurückgekehrt wie der Graf von Monte Christo, der sich aus seinem Gefängnis befreit und mit Hilfe seiner neuen Existenz seine Peiniger bestraft hatte! Blödsinn! Rache ist vielleicht am Anfang süß – aber danach wird sie einfach nur bitter und hinterlässt einen schalen Geschmack, den man nicht mehr los wird. Natürlich tat es mir gut, dass Mike überführt wurde. Aber es machte Sunny nicht wieder lebendig, nicht einmal für einen einzigen kleinen Augenblick! Und die Bilder, die ich während des Wiederaufnahmeverfahrens meines Falles von den beschlagnahmten Flashspeichern gesehen hatte, ließen Sunny auch nicht gerade unbeschwert, wie er war, in meiner Erinnerung bleiben. Wie sollte ich je wieder glücklich zurückblicken?
Über sechs Jahre lang war ich in meinem Körper eingesperrt gewesen und hatte um mein Leben, meine Würde, meinen Geist und die Wahrheit gekämpft. All das, wogegen ich mich gestemmt hatte, war plötzlich weg und ich lief ins Leere …
In einem Eilverfahren wurde ich freigesprochen und die grüne Spritze zu meiner Rehabilitierung wurde freigegeben. Nicht mehr lange und ich würde wieder einen Körper haben, mit dem ich ganz real an all die Orte gelangen konnte, zu denen mich meine Schritte lenkten. Aber wohin würden sie mich lenken? Zurück in die Vergangenheit, zurück in die Agentur? Zurück zu meinen alten Freunden und Bekannten? Einfach so tun, als wäre nichts gewesen? Einfach so tun, als hätte man sich sechs Jahre ein Sabatikal, eine Auszeit, genommen? Einfach so tun, als hätte man mir nicht das Vertrauen einfach unter meinen Füßen weggezogen, als wäre es eine verfilzte Badematte?
Von heute auf morgen war ich rehabilitiert und ein gutes, wenn auch bewegungsunfähiges Mitglied der Gesellschaft. Dennoch blieb der Eindruck, dass ich nicht richtig dazu gehörte. Irgendwie kam ich mir vor, wie der Truthahn auf dem Festtisch zu Thanks Giving – mitten drin und doch nicht dabei … Es ging alles so schnell, dass sich nicht einmal die ersten Besucher ankündigen konnten, um mich zu besuchen. Eine E-Mail von Tanja lag in meinem Posteingang. »Es tut mir so leid …«
Was sollte ich antworten? »Mir auch!« Sollte ich das wirklich schreiben? Jahrelang hatte sich niemand bei mir gemeldet oder hatte mich besucht. Warum sollte ich mich jetzt darauf einlassen?
Nicht, dass ich aus Rache handelte. Ich wollte nur dieses ganze Geheule und die Beteuerungen nicht hören, dass sie immer an mich geglaubt haben. Auf so etwas zu antworten war, in seiner Schlichtheit, einfach nur … verlorene Energie! Wenn ich von jemandem angelogen werden wollte, hatte ich immer noch mich selbst!
Ich wartete darauf, dass ich die grüne Spritze bekommen würde, die mich aus meinem Dornröschenschlaf erwecken würde. Sicherlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ich sieben Zwerge als Freunde gewinnen würde, um die böse Hexe des persönlichen Trübsinnes zu vernichten!
Sackgasse
Doch das mit der grünen Spritze der Glückseligkeit zog sich hin. Die gerichtliche Anordnung, mich wieder in ein normales Leben zurückzubringen, war schon lange besiegelt und beglaubigt. Es haperte nicht am Beschluss, sondern schlicht an dessen Umsetzung. Zuerst hieß es, der Impfstoff wäre nicht eingelagert. Dann hieß es, die Herstellung würde einige Zeit in Anspruch nehmen.
Und schließlich standen eines Tages Doktor Gregor und Doktor Gralstor in meinem Zimmer. Im Doppelpack hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen. Und offen gestanden hatte ich kein gutes Gefühl dabei, dass sie gleich zu zweit antraten. Und ihre versteinerten Mienen verhießen auch nichts Gutes.
»Noch eine weitere Verzögerung«, dachte ich.
Die beiden schauten sich an, als wollten sie abklären, wer von beiden den Aufschlag übernimmt. Ein nahezu unmerkliches Nicken und Doktor Gregor hatte den Ball aufgenommen.
»Herr Schirmer, wir möchten sie fragen, ob sie nach Ihrem Freispruch hier im Gefängnis bleiben möchten oder wir sie in ein öffentliches Krankenhaus verlegen sollen?«
Und deswegen standen die beiden wie bedröppelt da? Ich musste innerlich schon grinsen und antwortete: »Das ist doch völlig egal, ob ich hier oder in einem Krankenhaus auf meine grüne
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