Körper-Haft (German Edition)
dreckiger, abgewetzter Barhocker in einer Bahnhofskneipe. Dann spürte ich seine Hände in einem Bereich, der eigentlich nur meinen vorbehalten war. Oder Händen, denen ich nur zu gerne gestattete, mich dort zu liebkosen. Aber in diese Kategorie fielen die groben, schwieligen Fernfahrerfinger von Brötchen garantiert nicht. Auch die Vorstellung, dass er die langen, schwarzen, gestülpten Gummihandschuhe trug, machte die Vorstellung nicht gerade angenehmer.
Es war einfach entwürdigend, regungslos dazuliegen und diese Reinigungsprozedur über sich ergehen lassen zu müssen. Es war, als wolle man sich vor Scham von sich selbst wegdrehen. Weil ich dennoch verstand, dass sie notwendig war, würde ich mich im Laufe der Zeit vielleicht daran gewöhnen können.
Als geradezu unerträglich erniedrigend empfand ich es jedoch, weder verbal noch körperlich in der Lage zu sein, mich gegen die Anfeindungen von Mosquito zu wehren. Selbst wenn ich ihm Rache schwor, vor mir selbst feierlich gelobte, ihm all das heimzuzahlen, wenn ich meine Haftstrafe abgebüßt hatte … was würde es bringen, ihn vor der Presse bloßzustellen, oder ihm aufzulauern und eine überzubraten? Meine derzeitige Situation bis zur Entlassung würde damit um keinen Deut erträglicher. Es sei denn, man glaubt daran, dass einem der Gedanke an Rache Befriedigung bringen kann. Ich denke jedoch, dass einen die Rache auffrisst und man ein persönliches Mandala daraus macht, das einen nur noch tiefer in den Abgrund reißt.
Die einzige Möglichkeit sich gegen Mosquito zu stellen war, sich ihm zu entziehen. Aber wie? Brötchen hatte seine Gummihandschuhe inzwischen ausgezogen. Er hatte den Kopfkissenbezug gerade neu bezogen und schüttelte das Kissen auf. Mit der Handkante drückte er eine Kerbe ins Kissen, um meinen Kopf besser darin betten zu können.
Da war es wieder, mein Werbefuzzi-Halbwissen, das es mir bisher ermöglicht hatte, meinen Lebensstandard auf hohem Niveau zu halten. Die beiden Worte Kopfkissen und Kerbe spülten bei mir eine Geschichte aus dem Unterbewussten herauf, die ich irgendwann einmal gehört oder gelesen hatte und die sich irgendwie in meinem Gedächtnis verhakt hatte:
Russland kann nicht eingenommen werden. Es ist einfach zu groß. Wenn es von einer Armee angegriffen und eine Kerbe ins Reich geschlagen wird, so weicht es zurück wie ein weiches Kissen, nur um danach die Angreifer von der Rückseite zu umschließen und zu verschlucken!
Ich war mir nicht sicher, von wem diese Aussage stammte. Ich glaubte mich jedoch zu erinnern, dass es sich um irgendeinen großen Feldherrn gehandelt hatte. Vielleicht sogar um den großen Kleinen namens Napoleon, nachdem er mit seinem Feldzug gegen Russland gescheitert war. Vielleicht hatte ich es diesem Herrn, der so gerne seine Hand am eigenen Bauch wärmte, zu verdanken, dass ich auf diesen Gedanken kam … Die Frage war nur: Wie konnte ich vor Mosquito zurückweichen, ohne mich aufzugeben? Und war ich wirklich groß genug dafür?
»Mein Gott, es ist Nr. 4, der so stinkt. Murgh Korma gemischt mit den Abwässern von Kalkutta. Der fault ja von innen raus!«
Mosquito war wieder in seinem Element … »He Daniel, Du hast gewusst, dass unser indischer Brandstifter das Stinktier ist, Du Sack!«
»Nein, ich hab’s nicht gewusst, sagen wir eher … geahnt«, entgegnete Brötchen ungerührt.
»Aber mach nicht so dicke Backen und versorg den Guten erst mal oder muss ich Dir erst in Deinen knochigen Hintern treten?«
»Und wie ich den versorgen werde, religiöse Haartracht hin oder her, der Bart ist ab, hihi.«
Brötchen hatte mich auf die Seite gedreht und fuhrwerkte hinter meinem Rücken herum. Ich war mir nicht sicher, ob er mir zur Veranschaulichung ihrer »Macht« das ganze Schauspiel zeigen wollte, oder ob er tatsächlich irgendetwas in Seitenlage mit mir zu schaffen hatte.
Jedenfalls konnte ich sehen, wie Mosquito einen Langhaarschneider aus seinem Servicewagen hervorkramte und vor den Augen des zuerst entsetzt, dann zornig dreinblickenden Inders hin und her schwang.
»Der Bart ist ab, mein Lieber!«, wiederholt er noch einmal und blickte ihm prüfend in die Augen.
»Diese verfilzte Matte werde ich mir daheim als Fußabstreifer vor die Türe legen!«
Aus den Augen des Inders loderte blanker Hass, gemischt mit dem Entsetzten, dass er mit seinem Bart auch sein religiöses Ansehen verlieren würde.
Mosquito grinste das gemeinste Lächeln, das ich je gesehen hatte, setzte den Langhaarschneider
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