Körper-Haft (German Edition)
bekanntesten Männer der Geschichte.« Mir war vollkommen klar, wen er meinte und mit dem ich absolut keine Ähnlichkeit haben wollte. In Gedanken war ich bei einem ganz anderen bekannten Mann der Geschichte. Einem der ebenfalls an Russland gescheitert war, weil es wie ein weiches Kissen zurückwich, um gegnerische Armeen zu umschließen und zu verschlingen …
Bisher schien mein Plan aufzugehen. Ich hielt die Augen geschlossen und versuchte meinen Puls so ruhig wie möglich zu halten, während meine Nase versuchte, diesen widerwärtigen Geruch zu ignorieren.
»Los, mach endlich die Augen auf, Du Ratte«, hörte ich Mosquito ärgerlich sagen.
Anscheinend gefiel es ihm überhaupt nicht, dass meine Reaktion nicht so ausfiel, wie er es sich erhofft hatte. »Also gut, vielleicht pennst Du ja tatsächlich. Mal sehen ob Nr. 1 etwas unterhaltsamer ist. Ein kleines Bärtchen steht ihm sicherlich auch gut … Und während ich mich um Nr. 1 kümmere, kann ich Euch beide ja noch ein Weilchen im Auge behalten … Aus der Ferne ist es immer noch ein Genuss Euch zuzusehen. Nr.1 macht seinem Namen übrigens alle Ehre. Er ist mit 182 Schlägen pro Minute der Gewinner des heutigen Puls-Bingos …«
Ich schaffte es tatsächlich, den Gestank weitgehend zu ignorieren und mich wieder in mein Kehrwasser zu flüchten. Bevor ich dort vollkommen ankommen war, fasste mein Hirn ohne mein Zutun noch einmal zusammen, was ich über Mosquito wusste: Er schien tatsächlich keine Freunde zu haben, liebte Hunde und hatte irgendetwas gegen Brötchen in der Hand.
Erlösung
Mein Trick mit dem Kehrwasser funktionierte überraschend gut. Kaum hatte ich die Situation auf dem Fluss vor meinem geistigen Auge, beruhigte ich mich zutiefst und konnte meine Umgebung ausschalten. Das pulsende Wasser vor dem Walbuckel verschaffte mir einen tiefen Frieden. Immer wenn ich versuchte die Details dieses Bildes stärker zu fassen und nach meiner Vorstellung zu formen, verblasste das Bild und geriet ins Wanken. Wenn ich jedoch losließ, wurde es von ganz alleine detailgetreuer und wirkte nur noch beruhigender auf mich.
Das Raft und auch meine Kollegen kamen darin praktisch gar nicht mehr vor. Es gab nur noch den Fels und die beiden Strömungen, die gegeneinander und doch miteinander arbeiteten, um die Beständigkeit des Wandels zu symbolisieren. Manchmal hatte ich den Eindruck, mit einem glücklichen Gefühl voll und ganz in diesen Strömungen aufzugehen und selbst zum Fluss zu werden. Ich hatte keine Ahnung, ob dies – wie auch die Rückenschmerzen? – eine Nebenwirkung von Professor Marquez’ Serum war oder schlichtweg ein Ergebnis der psychischen Anspannung. Oder näherte sich der Wahnsinn bereits auf leisen Sohlen? Völlig egal, ein Besuch im Kehrwasser strengte mich zwar an, war aber auch zutiefst beruhigend.
Nach einer unbestimmten Zeit zog ich mich aus meinem Kehrwasser wieder heraus und spürte meinen schmerzenden Rücken wieder. Etwas unter meiner Nase juckte fürchterlich. Der Geruch von Kot stieg in meiner Nase auf, allerdings deutlich weniger intensiv als zuvor. Entweder hatte ich mich daran gewöhnt oder der Gestank hatte tatsächlich nachgelassen. Ich tippte auf Variante eins. Es verhielt sich vermutlich wie bei Parfum: Wenn man es zu lange benutzt und ständig unter der Nase hat, versucht der Geruchssinn, diesen Eindruck auszublenden, um sich den wichtigeren Aufgaben zu widmen. Wie zum Beispiel überleben! Riecht Nahrung zum Beispiel bitter, geht der Geruchssinn davon aus, dass es den Magen angreift oder vielleicht sogar giftig ist. Bei Parfumfetischisten führt diese Geruchsunterdrückung meist dazu, dass immer mehr Duftwasser aufgetragen wird, bis Mann oder Frau stinkt wie ein einbalsamierter Iltis. Das ehemals dezente Düftchen wird für Außenstehende zur Duftkeule, aus deren Reichweite man sich am besten so schnell wie möglich entfernt.
Das Jucken unter der Nase hatte dafür an Reiz zugenommen und wurde fast unerträglich. Normalerweise hätte ich mich mit einem Finger gekratzt. Aber was half einem ein Finger, wenn die daran hängende Hand und der dazugehörige Arm neben einem liegen, als gehören sie nicht dazu. Das gleiche galt für den anderen Arm, beide Beine, den Kopf, die … Mir wurde bewusst, dass ich meinen Körper mit seinen Bestandteilen mittlerweile als Fremdkörper betrachtete. Nur die Schmerzen im Rücken und das furchtbare Jucken unter der Nase verhinderten, dass ich den Bezug zu ihm völlig verlor. Aber was sollte ich tun?
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