Körper-Haft (German Edition)
ausschüttete.
Platzhalter
Als der interaktive Erziehungsteil um 18:00 Uhr zu Ende ging, begann ich darüber nachzudenken, welche Religion wohl am friedfertigsten und entspannendsten sein könnte. Ein Gedanke, den ich mir wahrscheinlich zum ersten Mal seit Jahren in dieser Form machte. Aus rein intellektueller Perspektive hatte natürlich jede Religion ihren ganz eigenen Reiz. Das Christentum kannte ich jedoch schon aus schulischer und spezifisch christlicher Erziehung bis zu meinem Austritt aus der Kirche im Alter von 18 Jahren. Ich erinnerte mich noch allzu gut an den schockierten Blick meiner Mutter. »Junge das kannst doch nicht tun, Du landest noch im Fegefeuer.« Scheinbar hatte Sie mit etwas Verspätung Recht. Denn der Zustand, in dem ich mich nun 18 Jahre später befand, kam meiner Vorstellung der Vorhölle schon ziemlich nahe. Sie hatte noch hinzugefügt: »Du stürzt uns alle noch ins Unglück!« Ich hatte mich natürlich nicht von ihr aufhalten lassen und amüsiert einen Schlussstrich unter meine Religionszugehörigkeit gezogen.
Zwei Wochen später starben meine Eltern bei einer furchtbaren Massenkarambolage auf der Autobahn in einer kalten Nebelbank, die laut Augenzeugen völlig unerwartet in Form einer großen Hand über die Fahrbahn strich und jegliche Sicht nahm. Nur drei Minuten später war der ganze Spuk vorbei und hinterließ ein Schlachtfeld von dampfenden und zischenden Blechhaufen, in denen sieben Menschen starben und neun weitere schwer verletzt wurden. Die Worte meiner Mutter echoten damals durch meinen Kopf. »Du stürzt uns noch alle ins Unglück!«
Ich hatte mir schwere Selbstvorwürfe gemacht und die Katastrophe auch tatsächlich mit meinem Kirchenaustritt in Zusammenhang gebracht.
Trotzdem war mir eines klar: Wenn ich reumütig in den Schoß der Kirche zurückkehrte, würden meine Eltern auch nicht wieder lebendig. Und wenn dieser Gott so rachsüchtig war, nur weil man aus seinem Verein austrat, wollte ich mit ihm auch nichts zu schaffen haben. Wenn ich aus dem Tennisclub austrete, werde ich ja auch nicht vom Vorsitzenden mit dem Schläger erschlagen!
Aber weder die Mitgliedschaft im Tennisclub noch mein Kirchenaustritt sollten der Kern meiner Überlegungen sein. Es ging darum, den religiösen Teil des Erziehungsprogramms am Vormittag erträglicher zu machen. Ich war sozusagen auf der Suche nach einem erträglichen Platzhalter.
Das Christentum kam wegen meiner persönlichen Erfahrungen und aufgrund des Inquisitionsprogramms von Bruder Martin nicht infrage. Wie gesagt, vom intellektuellen Standpunkt haben natürlich alle Religionen ihren Reiz. Aber sicher nicht in dieser fanatisch militanten Darbietung.
Was mich von jeher gereizt hatte, war die Friedfertigkeit des Buddhismus, der es ohne jegliche »heiligen Kriege« geschafft hatte, eine nennenswerte Schar Anhänger zu finden.
Wenn man das Schwert eines religiös verbrämten Recken im eigenen Nacken spürt und gefragt wird: »Glaubst Du jetzt an meinen Gott?«, ist die Antwort naheliegend. Dann würde ich nämlich denken: »Wenn Dein Gott Opportunismus mit Vornamen heißt, glaube ich … glaube ich weiterleben zu können und mache mir im Stillen meine eigenen Gedanken.« Wenn es eine Religion jedoch ohne die schlagkräftige Argumentation eines Schwertes schafft, genügend Neugierige um sich zu scharen, dann interessiert auch mich, was dahinter steckt.
Zum anderen hatte Bruder Martin den Buddhismus als eine esoterische Minderheit bezeichnet und gerade das machte mir diesen Gegenpol besonders schmackhaft. Und falls es mir nicht gefallen sollte, gab es ja noch andere Religionen. Die meisten beziehen sich ja eh auf ein und denselben Gott – auch wenn dies keiner der Glaubensführer offiziell zugeben würde. Schließlich möchte man sich ja nicht die beste USP , die Unique Selling Proposition, verbauen. »Denn nur wo Gott draufsteht, ist auch Gott drin.«
Aus meiner Sicht sind alle weltlichen Glaubensgemeinschaften die langlebigsten Marken der Welt, die schon seit Jahrhunderten mit einem perfekten Marketing ein überaus virtuelles Produkt verkaufen: das Seelenheil! Und das Perfekte daran ist: Es hat sich noch kein einziger Gläubiger postmortal gemeldet, um sich zu beschweren, dass er es nicht gefunden hatte! Gerade Garantiefälle, wie zum Beispiel ein klemmendes Gaspedal, kosten Unternehmen eine Menge Geld und treue Kunden. Vom Imageschaden einer geplatzten Himmelfahrt ganz zu schweigen!
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spreche
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