Kommissar Katzorke: Süße Schrippen (German Edition)
geschossen hatte.
„ Eine Hinrichtung.“
Noch flüsterte sie diesen ungeheuerlichen Vorwurf. Würde sie ihn vor Gericht hinausschreien, falls Dimitri tot war?
„ Dann bin ich das Kollegenschwein.“
Was für ein Schlaglicht auf die Methoden der Berliner Polizei.
„ Finaler Rettungsschuss“.
Zur Abwehr von besonders kritischen Gefahrensituationen. Allein vom Begriff her wurde diese Art von Totschlag beschönigt. Wen hätten die Einsatzkräfte denn in diesem Moment vor wem gerettet?
Sie? Fatma, vor der größten Liebe ihres Lebens?
Sie schüttelte immer wieder ihren Kopf. Haarsträhnen klebten in ihrem Gesicht.
„ Nein, lieber Gott, lass ihn überleben!“
Sie bettelte und flehte abwechselnd auf deutsch und auf türkisch zu der alles leitenden Instanz, in der vagen Hoffnung, dass sie existierte. Und wenn ja, ihr auch helfen könnte.
Die Verblendung dieses schießwütigen Beamten, dessen zuckender Finger sie um den endlich entdeckten, liebsten, teuersten Schatz gebracht hatte.
Nun gab es kein Halten mehr.
Heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht. Lautlos schluchzte sie in ein Kissen, das sie sich selbst, wie um sich zu ersticken, auf den Mund presste.
Alle Gefühle, die sie in den vergangenen Wochen mit heroischer Anstrengung erfolgreich gestaut hatte, brachen nun hemmungslos aus ihr heraus.
„ Von den eigenen Kollegen verraten und als Spitzel missbraucht. Schande!“
Nach Stunden mit Weinkrämpfen wie im Fieber betrachtete sie aus geröteten Augen ihr Gesicht im Spiegel.
„ Alte, hässliche Frau!“
War das überhaupt noch ihr Gesicht? Sie meinte, ein Spinnennetz aus Falten darin zu entdecken.
„ Scheiß Bullen!“
Der Ausruf kam spontan, aber aus tiefem Herzen. Sie musste sogar über den Widersinn lachen, der sich daraus ergab, dass sie selbst noch zu diesen gehörte. Trotzig blickte sie im Spiegel sich selbst in die Augen. Jetzt war es wieder da, ihr junges, trotziges Gesicht.
„ Wieder zurück auf Los! Neuer Anfang.“
Ihre vor kurzem noch halbwegs geordnete Gegenwart war vollständig aus den Fugen. Ihre Karriere als Beamtin, im Bewusstsein von Dimitris brutaler Niederstreckung, wie von einer Explosion zerfetzt.
„ Knalltrauma? Ihr habt einen Knall, nicht ich.“
Ihre Erinnerung an den SEK Einsatz mutierte, als wische andauernd jemand mit einer Faust über ein frisch gemaltes Bild. Hatte sie für einen Moment das Bewusstsein verloren? War sie eine glaubwürdige Zeugin? Oder konnte sie aussagen, was und wie sie wollte, man glaubte ihr sowieso nicht?
Ihr Gefühl, in dem Moment, als sie und Dimitri sich geküsst hatten, war in seiner ganzen Fülle noch existent. Es war viel zu kostbar, um es in der Erinnerung öfter hervorzurufen. Dadurch abzunutzen. Endlich angekommen zu sein, festgehalten in einem innigen Moment. Den hielt sie fest.
„ Wenn er überlebt, bitte lieber Gott! Wie viele Jahre Knast?“
Erschöpft schlief sie ein, wachte um fünf Uhr morgens wieder auf und ging zu einem Kiosk, kaufte eine Tageszeitung.
Es wurde knapp über den Fall berichtet. In einer kurzen Notiz. Ohne Anteilnahme, nicht mal ein aktueller Bericht. Nichts über den Zustand des Verletzten.
„ Der verletzte, mehrfach vorbestrafte Täter wurde ins Krankenhaus gebracht. Punkt.“
Kein weiterer Nebensatz, etwa wie: wo er an den Folgen der Schussverletzung verstarb.
Hoffnung.
„ Oder soll ich das Fehlende selbst ergänzen?“
Am folgenden Tag gar kein Bericht. War das Interesse der Zeitungsmacher schon erloschen? Im Internet darüber ebenfalls nichts. Nachrichtensperre.
Fatma fand nur ältere Berichte. Sogar ein Foto von Dimitri, das sie noch nicht kannte.
Ein Krimineller, kein Fall für Menschenrechtler, die Behörde hielt fest den Deckel drauf. Das Verfahren war üblich, möglichst wenig Aufsehen, vor allem, wenn Beamte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hatten.
Deren Fehlverhalten fiel auch auf die Vorgesetzten zurück.
Die Woche mit Krankschreibung ging schnell vorüber. Viel zu schnell!
Fatma sollte wieder zur Arbeit und zweifelte immer noch an sich, an ihrer Rolle, die sie seit ihrer Ausbildung verinnerlicht hatte.
Einmal hatte sie zu denen gehören wollen, deren Leben in Ordnung und geregelt war. Ein schlicht legitimer Wunsch, besonders für sie, als Kind von armen Einwanderern. Aber diese heile Welt existierte scheinbar nicht.
„ Für mein Leben passt das meiste nicht.“
Auf den Dienst am folgenden Tag vorbereiten, aber sie überlegte, welches andere Leben sie dafür eigentlich
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