Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
EINS
Meißner zog sich die Lederjacke über und klopfte suchend seine Taschen ab. Das Handy! Er zog die Schuhe noch einmal aus und tapste möglichst leise hinüber ins Schlafzimmer. Kirsti lag auf seiner Bettseite und hatte sich seine Decke zusätzlich zu ihrer eigenen geschnappt. Sie hielt das mit dunkelblauem Satin bezogene Betttuch zwischen ihren Beinen fest und umklammerte es mit den Armen, als läge er noch immer bei ihr. Das Bild rührte ihn, und er deckte die freie Decke über die helle Haut ihrer Beine und ihres üppigen Pos. Kirsti war eine sehr weibliche Frau. Sie war weich und gefühlvoll und hatte im Leben immer wieder Pech gehabt. Jetzt arbeitete sie als Bedienung in einem Café in der Innenstadt. Diese Woche hatte sie Spätschicht gehabt. Sie war genauso Single wie er, und manchmal trösteten sie sich gegenseitig ein bisschen über das Alleinsein hinweg.
Als er sein Handy vom Nachttisch nahm, bemerkte er, dass sie sich gestern nicht mehr richtig abgeschminkt hatte. Die Wimperntusche war über und unter ihren Augen verschmiert, sodass ihr schlafendes Gesicht ziemlich traurig aussah.
Er steckte das Handy ein, verließ die Wohnung und fuhr in seinem Audi A 4 ins Präsidium. Das Auto war noch nicht einmal ein Jahr alt. Wieso brachten die eigentlich kein Modell mit Selbstreinigungsfunktion auf den Markt? Bei den Küchenherden funktionierte das doch auch. Autowaschen, entrümpeln, saugen, er wusste, dass das vielen Männern, vor allem samstags, riesigen Spaß machte. Ihm nicht. Manchmal erschreckten ihn die leichten Verwahrlosungstendenzen, die er an sich bemerkte, aber er musste ja auch auf niemanden mehr Rücksicht nehmen. Carolas Nörgeleien über nicht geleerte Aschenbecher oder einen zugemüllten Beifahrersitz gingen ihm zwar nicht ab, doch sie hatten halt irgendwann auch eine Wirkung gezeigt. Aber jetzt war Carola nicht mehr da. Vor einem halben Jahr war sie bei ihm ausgezogen. Nun gab es keine Klagen mehr, dafür noch mehr Chaos, in dem er sich nicht unbedingt wohlfühlte, aber er fand einfach nicht die Kraft dazu, es zu ändern. Denn letztlich hatte das kleine Chaos um einen herum doch auch etwas zutiefst Tröstliches und Menschliches. Fand er zumindest.
Dass Kirsti so weit draußen, in Oberstimm, wohnte, das nervte ein bisschen. Er fuhr auf der B 13, die parallel zur Bahnstrecke München-Nürnberg in nördlicher Richtung nach Ingolstadt verlief. Die Bundesstraße führte mitten durch Unsernherrn, den ersten eingemeindeten Unterbezirk von Ingolstadt, wo es sich morgens meistens an den Ampeln und Fußgängerüberwegen staute. Schulbusse zuckelten um die Zeit im Stop-and-go durch den Ort, während die Pendler, die nach Ingolstadt in die Arbeit mussten, sich an ihnen vorbeizudrängen versuchten. Zwischen Unsernherrn und dem nördlich angrenzenden Bahnhofsviertel gab es noch einen kleinen unbebauten Flecken Erde, auf dem seit diesem Frühjahr ein Feld mit Blumen zum Selbstpflücken blühte. Am Rand standen Sonnenblumen, dann folgten mehrere Reihen mit Gladiolen, wie sie früher immer im Schrebergarten seiner Großeltern gewachsen waren. Damals waren sie an Stöcke gebunden worden, damit der Wind sie nicht knickte. Auf dem Feld bogen sich die kräftigen Stängel mit ihren weißen, roten und violetten Blütenständen im Wind, als Meißner mitten im Feld eine Frau entdeckte. Mit ausgestreckten Armen und sich drehend tanzte sie durch die Reihen. Der Saum ihres roten Kleides flatterte im Wind, und ihr langes dunkles Haar flog wild um ihr Gesicht. Meißner stieg panisch auf die Bremse. Verdammt, beinahe wäre er auf den BMW vor ihm aufgefahren. Musste der auch schon einen halben Kilometer vor der nächsten Ampel abbremsen, um im Leerlauf Benzin zu sparen? Jetzt war er an dem Blumenfeld vorbei und hatte die Frau aus den Augen verloren. Leider.
Er fuhr auf der Münchener Straße weiter, am Hauptbahnhof vorbei, bog in die südliche Ringstraße ein, überquerte die Donau und erreichte über die Heydeckstraße das Präsidium. Den Wagen stellte Meißner auf dem Parkplatz an der Rückseite des Backsteingebäudes ab und betrat das Gebäude durch den Hintereingang. Als der Türöffner summte, ging er durch die Glastür. Stangelmayer, der am Eingang saß, erhob sich und nickte ihm zu. Meißner schätzte, dass Stangelmayers Hüftumfang in den letzten zwei Jahren mindestens um einen halben Meter zugenommen hatte. Es war deprimierend, das mit anzusehen. Früher war er einer der Besten in der Polizei-Sportgruppe
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