Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik

Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik

Titel: Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Hayerdhal
Vom Netzwerk:
das Riff vor uns, und bald hörte  es sich an wie ein endloser Expreßzug, der wenige hundert Meter von Steuerbord entlangjagte. Gelegentlich sahen wir auch jetzt dicht vor uns, wo der Brandungsexpreß vorbeisauste, den sprühenden Schaum hoch in der Luft.
    Zwei Mann drehten das Ruder. Sie standen hinter der Bambushütte und hatten deshalb nicht den geringsten Ausblick nach vorne. Erich hatte die Navigation übernommen. Die Küchenkiste war seine Kommandobrücke, von wo er die zwei am schweren Steuerruder dirigierte. Wir planten nämlich, uns so dicht am gefährlichen Riff zu halten, als überhaupt zu verantworten war. Von der Mastspitze hielten wir ständig Ausguck. Wir hofften auf eine Spalte oder Öffnung im Riff, durch die man das Floß hineinschmuggeln konnte. Die Strömung trieb uns, ohne uns einen Streich zu spielen, das ganze Riff entlang. Auch der Wind strich in der gleichen Richtung. Die wackeligen Schwerter gestatteten uns so viel Bewegungsfreiheit, daß wir immerhin bis zu 20 Grad nach beiden Seiten vom Wind abweichen konnten.
    Während Erich im Zickzack so nahe an das Riff kreuzte, als angesichts des Sogs noch ratsam war, trieben Hermann und ich an einem Schlepptau im Gummiboot hinterher. Wenn das Floß die innere Bahn nahm, schwangen wir am Tau nach und kamen dem donnernden Riff so nahe, daß wir deutlich die glasgrüne Wasserwand sahen, die sich von uns wegwälzte. Wenn die Seen zurückfluteten, entblößte sich das kahle Riff und glich einer wüsten Barrikade von rostigem Eisenerz. Soweit wir die Küste hinuntersehen konnten, gab es weder Spalt noch Passage. Da drehte Erich das Segel herüber, und die Ruderleute folgten mit dem Steuer nach, so daß die »Kon-Tiki« die Nase wendete und im letzten Augenblick aus der Gefahrenzone herausschlingerte. Jedesmal, wenn die »Kon-Tiki« gegen das Riff hereinsteuerte und wieder hinausschwenkte, schlug uns beiden, die im Schlauchboot nachschlitterten, das Herz bis in den Hals. Und jedesmal kamen wir so weit herein, daß wir den höheren und hitzigeren Takt der See spürten. Jedesmal waren wir überzeugt, jetzt wäre Erich zu weit gegangen, diesmal sei keine Hoffnung mehr, die »Kon-Tiki« aus den Brandungen, die sie gegen das teuflische rote Riff hineinziehen wollten, frei zu bekommen. Aber jedesmal meisterte Erich die Brassen mit einem eleganten Manöver, und die »Kon-Tiki« scherte wohlgeborgen aus den Klauen des Sogs hinaus aufs freie Meer. Dabei glitten wir die Insel entlang, so nahe, daß wir alle Details an Land sahen, und trotzdem war die paradiesische Schönheit da drinnen für uns unzugänglich wegen des geifernden Massengrabs, das dazwischen lag.
    Um drei Uhr öffnete sich der Palmenwald, und über eine breite Lichtung sahen wir direkt hinein auf eine blaue und spiegelblanke Lagune. Aber das Ringriff war hier genauso kompakt und fletschte drohend seine blutroten Zähne. Es gab keinen Durchlaß, und der Palmenwald schloß sich wieder, während wir uns, den Wind im Rücken, an der Insel entlangtreiben ließen. Später trat der Palmenwald langsam auseinander und gab uns einen Blick in das Innere der Koralleninsel frei. Da lag die schönste, spiegelblanke Salzwasserlagune wie ein großer und stiller Teich, umkränzt von fächelnden Kokospalmen und hellen Strandflächen. Die bestrickende grüne Palmeninsel selbst formte einen breiten weichen Sandring um die gastfreundliche Lagune. Aber davor lag das rostrote Schwert, das die Pforten zum Himmelreich beschützte.
    Den ganzen Tag vor Angatau hatten wir die Herrlichkeit auf kürzeste Entfernung direkt vor der Tür. Die Sonne brütete über dem Palmenwald, Friede und Glück des Paradieses lagen über dem ganzen Bild. Allmählich kam Routine in unsere Manöver. Erich zog die Gitarre hervor und erschien an Deck mit einem gewaltigen peruanischen Sonnenhut. So sang und spielte er sentimentale Südseemelodien, während Bengt eine wohlschmeckende Mahlzeit an der Floßkante servierte. Wir öffneten eine alte Kokosnuß aus Peru und tranken den jungen, frischen zu, die da drinnen auf den Bäumen hingen. Die ganze Stimmung, die Ruhe über dem ewiggrünen Palmenwald, der wurzelfest stand und herüberleuchtete, die Ruhe über den weißen Vögeln, die über die Palmenkronen segelten, die Ruhe über der sanften blanken Lagune und dem weichen Sandstrand, dagegen die Wildheit in dem roten Riff mit Kanonade und Trommelwirbel in den Lüften - all das machte einen überwältigenden Eindruck auf uns sechs, die wir vom Meer da

Weitere Kostenlose Bücher