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KON-TIKI

KON-TIKI

Titel: KON-TIKI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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Mit aller Kraft versuchte er in den hohen Seen, die ihn von der Backbordseite hinausgehoben hatten, zurück zum Floß zu kommen. Torstein, der achtern am Steuerruder stand, und ich selbst, der vorn am Bug war, bemerkten ihn zuerst und wurden vom Schrecken geschlagen. Wir brüllten aus vollem Hals: »Mann über Bord!« und liefen zum nächsten Rettungsgerät. Im Tosen des Meeres hatten die anderen Hermanns Ruf überhaupt nicht gehört. Doch auf einmal kam Bewegung in die Mannschaft, und es wurde lebendig an Deck. Hermann war ein glänzender Schwimmer. Wenn uns auch sofort klar war, daß sein Leben auf dem Spiele stand, so hatten wir doch berechtigte Hoffnung, daß es ihm glücken wurde, zur Kante des Floßes zurückzukraulen, bevor es zu spät war.
    Torstein, der zunächst stand, warf sich über die Bambustrommel mit der Leine, die wir fürs Gummiboot brauchten, denn er hatte sie in Reichweite. Doch gerade jetzt, das einzige Mal auf der ganzen Reise, verklemmte sie sich. All das geschah im Laufe von wenigen Sekunden. Hermann war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Heck, und seine letzte Chance bestand darin, gegen das Blatt des Steuerruders zu schwimmen und sich dort festzuhängen. Doch das ging nicht. Er streckte sich nach dem Ruderblatt, aber immer wieder glitt es ihm davon. Und jetzt war er hinter dem Floß und lag genau dort, wo wir schon soviel anderes gesehen hatten, das wir nie mehr wieder bekamen. Während Bengt und ich das Schlauchboot aufs Wasser setzten, warfen Knut und Erich die Rettungsweste aus, die an einer langen Leine unter dem Hüttendach bereithing. Doch heute war der Winddruck so stark, daß sie auch beim kräftigsten Wurf wiederum zurück aufs Deck flog. Nach ein paar vergeblichen Versuchen lag Hermann bereits weit hinter dem Steuerruder und kraulte ums Leben, um dem Floß nachzukommen. Doch mit jedem Windstoß vergrößerte sich der Abstand zwischen ihm und uns. Er erkannte, daß von nun an der Zwischenraum immer größer werden würde, doch hoffte er schwach auf das Gummiboot, mit dem wir vom Floß abgestoßen waren. Ohne bremsende Leine wäre es vielleicht möglich gewesen, mit dem Schlauchboot den schwimmenden Mann zu erreichen. Ob jedoch das Gummifloß die »Kon-Tiki« jemals wieder einholen würde, das war eine andere Frage. Immerhin, drei Mann im Schlauchboot hatten eine Chance. Ein Mann im Meer hatte keine.
    Plötzlich sahen wir Knut einen Anlauf nehmen und sich mit einem Satz kopfüber in die Wogen stürzen. Er hatte die Schwimmweste in der einen Hand und hielt sich daran fest. Jedesmal, wenn Hermanns Kopf auf einem Wogenrücken in Sicht kam, war Knut verschwunden. Jedesmal, wenn Knut in die Höhe kam, war Hermann weg. Aber dann sahen wir auf einmal beide Köpfe nebeneinander. Sie waren einander entgegengeschwommen und klammerten sich nun alle zwei an die Rettungsweste. Knut winkte mit dem Arm. Da wir in der Zwischenzeit das Gummiboot wieder hochgezogen hatten, packten wir alle vier die Leine zur Schwimmweste und zogen ums Leben. Denn draußen bewegte sich hinter den beiden etwas Großes und Dunkles in den Wellen. In wilder Hast holten wir die Leine ein und starrten wie gebannt auf die geheimnisvolle Bestie dahinten im Wasser, die ein großes, grünschwarzes Dreieck über die Wogenkämme herausstreckte. Diese dreieckige Rückenflosse hatte schon Knut einen Schock versetzt, als er hinaussprang, um Hermann entgegenzuschwimmen. Nur Hermann allein wußte, daß dieses Dreieck weder zu einem Hai noch zu einem anderen Ungeheuer gehörte. Es war ein luftgefülltes Eck von Torsteins wasserdichtem Schlafsack. Doch der Schlafsack schwamm nicht lange hinterher. Als wir die zwei an Bord zogen, war er plötzlich verschwunden.
    Je nun, wer auch immer den Schlafsack in die Tiefe gezogen haben mochte, er hatte eben eine bessere Beute versäumt.
    »Bin ich froh, daß ich nicht drinstecke!« sagte Torstein und griff wieder nach dem Steuerruder.
    Im übrigen aber war er an diesem Abend sehr sparsam mit munteren Antworten. Uns allen ging es noch lange eisig durch Mark und Bein, sooft wir daran dachten. Doch in das kalte Gruseln mischte sich warme Dankbarkeit, daß wir weiterhin sechs Mann an Bord waren. Wir hatten Knut sehr viel Schönes zu sagen an diesem Tag, Hermann und auch wir anderen.
    Doch es blieb uns nicht viel Zeit, an das zu denken, was geschehen war. Rund um uns wurde es schwarz, und die Windstöße nahmen ständig an Stärke zu. Bevor noch die Nacht kam, ritten wir schon in einen neuen Sturm hinein.

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