KON-TIKI
Endlich kamen wir auf den Gedanken, die Rettungsweste an einer langen Leine hinter dem Floß nachzuziehen. Nun hing sie weit hinter dem Steuerruder, und wir konnten auf sie zuschwimmen, wenn einer von uns mit einer Bö wieder über Bord gehen sollte. Die Nacht brach herein. Im tobenden Unwetter wurde es völlig finster um uns. Wir konnten den Sturm nur noch hören und fühlen. Der Wind heulte in den Masten und Pardunen und warf sich mit so wilden Stößen gegen die ächzende Hütte, daß wir glaubten, sie müsse über Bord fliegen. Doch wir hatten Segeltuch darüber gedeckt und es gut verankert. Bald spürten wir, wie die »Kon-Tiki« in den schäumenden Wogen umhergeworfen wurde und die Stämme unseres Floßes in ständigem Auf und Ab über die brechenden Kämme hinwegtanzten. Wir waren immer wieder erstaunt, daß keine Wasserkaskaden durch die klaffenden Spalten zwischen den Bohlen heraufspritzten. Doch die Zwischenräume wirkten nur wie ein richtiggehender Blasebalg, durch den eine scharfe Luft auf und nieder pfiff.
Fünf volle Tage tobte die See. Sturm wechselte mit steifem Wind. Tief aufgewühlt wogte das Meer. Die weiten Wellentäler waren erfüllt vom brausenden Rauch zerstäubender, graublauer Seen. Heulende Windstöße peitschten die Wogenrücken, die unter dem Druck des Sturmes gleichsam lang und flachgepreßt einherfegten. Dann, am fünften Tag, riß die unheildrohende schwarze Wolkendecke auseinander, und ein Stückchen Blau guckte hindurch. Langsam verzog sich das Unwetter, und bald strahlte der ewig siegende blaue Himmel wieder im Sonnenglast. Wir hatten den Sturm überstanden. Das Steuerruder war geknickt, das Segel zerfetzt, und die Senkkiele hingen lose. Sie hatten alle Taue abgestreift, von denen sie unter Wasser festgehalten wurden, und schlugen nun wie Brecheisen zwischen den Stämmen.
Aber wir selbst und die Ladung waren allesamt völlig unbeschädigt.
Nach zwei Stürmen war die »Kon-Tiki« recht schlottrig geworden. Das ganze Gefüge hatte sich gelockert. Durch die Belastung bei der Fahrt über steile Wogenrücken hatten sich alle Taue gedehnt. Dauernd bewegten sich die Stämme, und so hatten sich die Seile tief in das weiche Balsaholz hineingefressen. Wir dankten dem Schicksal, daß wir dem Vorbild der Inkas gefolgt waren und keine Stahltrossen verwendet hatten. Die hätten uns im Sturm das ganze Floß einfach zu Kleinholz gesägt. Und hätten wir knochentrockenes, hochhinausschwimmendes Balsaholz zum Floßbau benützt, so wären die Bohlen schon längst, vollgesogen mit Seewasser, unter uns im Meer versunken. Doch der Saft in den frischen Stämmen wirkte als Imprägnierung und hinderte das Wasser, in das poröse Balsaholz hineinzusickern. Nun aber ließ das Tauwerk so viel Spielraum, daß man leicht mit dem Fuß zwischen die Stämme rutschen konnte. Das war gefährlich genug. Drückten die Bohlen nämlich mit gewaltiger Kraft zusammen, so quetschten sie einem bestimmt das Bein ab. Vorn und achtern, wo kein Bambus darüberlag, mußten wir daher höllisch aufpassen. Da standen wir nun mit je einem Bein auf einem schwankenden Stamm. Die Bohlen gingen auf und nieder, und wir versuchten, ihre Bewegung mit den Knien auszugleichen. Die Stämme waren glatt wie Bananenblätter und von glitschigen Wasserpflanzen überzogen. Wir säuberten unseren Weg zum Ruder von allem lästigen Grünzeug und befestigten ein Brett, auf dem der Steuerposten stehen konnte. Trotzdem war es nicht leicht, bei hohem Seegang festen Fuß zu fassen. Auf Backbord war einer von den neun großen Riesen besonders ungebärdig. Er stieß und stampfte Tag und Nacht mit dumpfem, nassem Schlag gegen die Querbalken. Auch das Tauwerk, das die beiden schrägen Masten an der Spitze zusammenhielt, gellte und schrie ganz fürchterlich, denn sie waren auf zwei verschiedenen, weit auseinanderliegenden Stämmen aufgesetzt und bewegten sich dauernd gegeneinander.
Wir versteiften das Steuerruder durch zwei lange Schienen aus eisenhartem Mangleholz, die wir an beiden Seiten festbanden. Erich und Bengt als Segelmacher nahmen sich der zerrissenen Leinwand an, und bald stand der Kon-Tiki-Kopf wieder vor unserem Mast und spannte die Brust in straffer Wölbung gegen Polynesien. Das Steuerruder tanzte hintennach in den Wogen, die bei diesem guten Wetter sanft und mild unter uns dahinglitten. Nur die Senkkiele wurden nie mehr ganz die alten. Sie nahmen den Wasserdruck nicht mit voller Kraft, sondern gaben nach, und da die Pardunen unter dem Floß sie
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