KON-TIKI
Vorwort zur Ausgabe 1985
Manche Menschen glauben an das Schicksal, andere nicht. Ich glaube daran und auch wieder nicht. Manchmal hat man das Gefühl, wie Marionetten, von Fäden an unsichtbaren Händen, bewegt zu werden. Dazu sind wir aber sicherlich nicht geboren. Wir können die Fäden selbst in die Hand nehmen und die Richtung unseres Weges an jedem Scheideweg selbst bestimmen oder wenigstens jede Spur, einem unbekannten Ziel entgegen, verfolgen.
Die folgenden Seiten erzählen die Geschichte eines jungen Mannes, der wie an eine Wand gedrückt zu sein schien, bis er seine Schicksalsfäden selbst in die Hand nahm. Wenn ich heute diese Geschichte, die ich damals geschrieben habe, lese, weiß ich, daß es der entscheidendste Augenblick meines Lebens war, als ich - eine eingefleischte Landratte, aufgewachsen voller Angst vor dem Wasser, wenn es höher als bis zu meinem Hals reichte - sämtliche Fäden und Bindungen zum Festland ein für allemal zerriß, um die größten und tiefsten Gewässer der Welt anzusteuern. Mein ganzes Leben veränderte sich, nachdem ich endlich fremden Abenteuern und einer unbekannten Zukunft entgegensegelte. Von da an bis zum heutigen Tag war mein Leben voll von Abenteuern, die man wie Perlen einer Kette aneinanderreihen könnte. Perlen fallen nur selten aus der Austernschale auf den Teller - man muß nach ihnen tauchen. Abenteuer nur um des Abenteuers willen war zwar nie mein Fall, doch ich gehe noch heute keinem Abenteuer aus dem Wege, das sich mir bietet.
Ich bin als ein wohlbehütetes Kind aufgewachsen - ein Träumer. Während meiner Universitätsjahre betrieb ich Studien über Mensch und Tier. Während ich an der Universität Oslo offiziell Zoologie studierte, galt meine Vorliebe schon sehr bald den Völkern des Stillen Ozeans, deren Geschichte ich in der Kroepelin-Bibliothek [Heute der Kon-Tiki-Museumsbücherei angegliedert.] - der Welt größten privaten Bibliothek über Polynesien - eifrig studierte. Und ich - ein Bücherwurm, der nicht schwimmen konnte - ging nach Polynesien und lebte dort ein Jahr lang auf einer Dschungelinsel, vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten. Die Abenteuer auf Fatu-Hiva werden auf den folgenden Seiten nur kurz erwähnt, da ich sie an anderer Stelle näher beschrieben habe. [T. Heyerdahl, Fatu-Hiva, Back to Nature, London, New York, 1974; A. Jacoby, Senor Kon-Tiki, Chicago, 1964.]
Ich ging nach Polynesien, um herauszufinden, wie Tiere mit Wind und Strömung auf die Ozeaninseln gekommen waren. Ich kam nach Hause mit einer umstrittenen Theorie darüber, wie Menschen diese Inseln in der vorgeschichtlichen Zeit erreichen konnten. Es gab zwei mögliche Seewege nach Polynesien: von Asien über Nordwestamerika und von Südamerika direkt nach Polynesien.
Dieses Buch erzählt die Geschichte einer Reise von sechs jungen Männern, die - allen Voraussagen von Wissenschaftlern und Seefahrern trotzend - bewiesen haben, daß eine solche Reise in vorgeschichtlicher Zeit möglich gewesen ist. Das südamerikanische Balsaholzfloß, von dem Gelehrte behaupteten, es müsse sinken, wenn es nicht regelmäßig an Land getrocknet würde, blieb unsinkbar wie ein Korken. Und Polynesien, das man vom alten Amerika aus mit einem Wasserfahrzeug für unerreichbar hielt, erwies sich als ein durchaus erreichbares Ziel für die Ureinwohner Perus. Das Kon-Tiki-Floß wurde zurück nach Oslo gebracht, wo es ein ganzes Jahr lang im Hafen herumschwamm. Dann wurde es an Land gezogen und als Hauptsehenswürdigkeit im Kon-Tiki-Museum aufgestellt, das unter der Leitung von Knut Haugland, der mit auf der Reise war, erbaut worden ist.
Wie hat nun die Wissenschaft auf den erbrachten Beweis dafür, daß sie im Unrecht gewesen ist, reagiert? Unter den ersten, die nachgaben und die neue Theorie akzeptierten, war der weltweit führende Experte auf dem Gebiet vorgeschichtlicher Wasserfahrzeuge in Peru, Dr. S. K. Lothrop von der Harvard-Universität; er hatte ein falsches Urteil über Balsaholzflöße in der wissenschaftlichen Literatur verbreitet. Die Reaktion der Weltöffentlichkeit auf die Kon-Tiki-Fahrt jedoch wurde von all den Wissenschaftlern, die sich in ihren eigenen Arbeiten und Thesen auf Lothrop berufen hatten - aufgrund der Überzeugung, daß Balsaflöße sinken - als Hohn empfunden. In allen Teilen der Welt wurden die »wagemutigen Wikinger« angegriffen und eines PropagandaUnternehmens, ohne jeglichen wissenschaftlichen Wert, bezichtigt. Das allgemeine Interesse wuchs mit der Polemik;
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