Kopernikus 3
Null-g-Ateliers der Himmelsstation 6 schwebte, und keine aus der trostlosen Mondoberfläche herausgegrabene schwarze Grube. Die Szenerie entbehrte nicht einer gewissen Schönheit, das war schon richtig, aber ein Loch, ganz gleich wie riesig, ist immer noch ein Loch, und dieses da wurde von den täuschend runden Hügeln beherrscht, die sich im Umkreis um diese ausgezackte Lücke erhoben. Die Gipfel glänzten golden, der rinnendurchfurchte Bergfuß war in Schatten aus Kreppapier getaucht, als die aufgehende Sonne darüber hinwegglitt.
„Wie viele sind tot?“ fragte Dr. Jackson schließlich.
„Sechs Menschen und der in der Raupe aufmontierte Kybernoid.“
„Vorschriften?“ Howard kam es vor, als könnte er hinter dem leeren Glänzen des Helmglases Ärger im Gesicht des alten Mannes erkennen, aber in dem Dämmerlicht mochte er sich täuschen.
„Wurden buchstabengetreu befolgt.“ Howard stockte, starrte in das fünf Kilometer weite Loch hinunter und spürte die Leere sowohl innerhalb wie außerhalb des Raumanzugs. Ihm zur Rechten regte sich Marian, ihre Stimme gab seinen verstörten Gedanken Ausdruck.
„Eine Überraschung“, murmelte sie, „eine Mondüberraschung, die für sechs junge, verhältnismäßig intelligente Menschen zum letzten Lachen wurde. Menschen, die vergaßen, daß das Leben zu achtzig Prozent vorhersagbar ist und daß die restlichen zwanzig Prozent aus Torte im Gesicht bestehen. Sie waren von der Sprengstelle weit genug weggefahren, um die Schreibtischritter zufriedenzustellen, die sich die Vorschriften ausdenken. Ihre letzte Sendung bestand nur aus der routinemäßigen Ankündigung der Sprengung, und als die Rettungsmannschaft bis zu ihnen vorgedrungen war, fand sie bloß eine übergroß ausgefallene Höhlung.“
„Aber eine Zwanzig-Kilo-Ladung aus Plastiksprengstoff verursacht doch keinen solchen Schlamassel, selbst wenn der Atomreaktor der Raupe auf irgendeine unmögliche Weise mit hochgegangen wäre.“ Jackson kniete am Rande des Lochs nieder und fuhr mit behandschuhten Fingern über bräunlichen Staub und Gesteinsschutt.
Howard war mit der Musterung des zerklüfteten Lochrandes fertig. „Ich komme mit der Raupe her. Es ist klar, daß wir da hinunter müssen, wenn wir die Ursache herausfinden wollen. Marian, du kommst mit.“
„Ich werde versuchen, eine steil abfallende Stelle zu finden, wo wir das Kabel hinunterlassen können“, schlug Jackson vor. Zwar war der alte Mann der rangälteste Wissenschaftler des Teams und der führende Selenologe auf dem Mond, doch übte er die Befehlsgewalt sehr leger aus. Marian und Howard wußten beide, was zu tun war und wer eine bestimmte Arbeit am besten ausführen konnte, ohne daß es eines rituellen Bestehens auf der Befehlshierarchie bedurfte.
Howard grunzte zustimmend und glitt holprig den lose aufgeschichteten Schuttkegel hinunter, der einst zum flachen Kinnermann-Plateau hinaufgeführt hatte. Marian stolperte in seinen Spuren brummend hinterdrein.
„Weltraumkobolde“, sagte die junge Technikerin plötzlich.
Der erstaunte Howard wollte sich umdrehen, aber infolge der Trägheitskraft landete er auf dem Schuttkegel. „Erkläre mir das bitte.“
„Ein Kobold steckt dahinter. Er hat im Felsgestein geschlafen, die Explosion der Sprengladung weckte ihn auf, das Wesen wurde frei und fraß die Mannschaft auf.“
„Und fünf Quadratkilometer Gestein noch dazu.“ Howard lachte und spürte die Spannung, die ihn seit dem Aufbruch von der Kolonie nicht mehr verlassen hatte. Mit jedem Bericht von einem unerklärlichen und seltsamen Phänomen tauchte die Furcht – oder vielleicht die Hoffnung – auf, daß der Mensch nun außerirdischem Leben Auge in Auge gegenüberstehen würde. Doch stellte sich jedesmal heraus, daß etwas anderes die Ursache war. Der Koboldmythos war ein Ergebnis der Überraschungslosigkeit des Mondes. Die höchst phantasievolle Spielwiese menschlicher Träume war zu einem abstoßend gewöhnlichen Ball aus totem Felsgestein geworden, der so geheimnisvoll war, wie ein getrockneter Kuhfladen.
„Es ist möglich“, ließ Marian nicht locker. „Was ist zum Beispiel mit der heulenden Schlucht?“
Howard prustete los. „Eine zufällig entstandene Gesteinsformation mit einer Schicht Eis darunter. Im Vakuum beginnt das Eis zu kochen, und das durch die Lippen der Kluft entweichende Gas führt dazu, daß das umliegende Gestein wie eine Riesentrompete dröhnt. Wenn wir nicht die Kolonie II zufällig einen Kilometer weiter in
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