Kopernikus 4
Abschußpunkte kontrollieren? Ich könnte ihn von hinten erwischen, aber sie würden es herausfinden. Gefag-Kugeln müssen anders sein oder so etwas. Ich bin sicher, es hat etwas mit den Gewehren zu tun. Ich weiß, daß sie einen finden können, wenn die Zeit um ist und man das Gewehr noch hat. Vielleicht können sie mit derselben Vorrichtung erkennen, wen man erschossen hat.
Wenn ich Stancato umbringe, erwischt er mich noch aus dem Grab heraus. Scheiße. Der endgültige Triumph. Den werde ich ihm nicht gönnen.
Ich schiebe den Gedanken beiseite. Ich werde Stancato nicht töten. Ich habe Glück, wenn ich überhaupt jemanden töte. Wahrscheinlich werde ich wieder vor Angst erstarren. So oder so.
So stehe ich da und denke darüber nach und beobachte die Nacht. Schließlich wecke ich Vogelscheuche, damit er mich ablöst, und der Schlaf überkommt mich. Auf einem Bett aus eisigem, glattem Stein.
Mein Rücken schmerzt, als mich ein Schrei wieder zu Bewußtsein bringt. Ich fahre hoch, noch schläfrig und verwirrt. Jemand schreit. Ich sehe blinzelnd zum Eingang. Kugeln jaulen um mich herum.
Die Gefags sind draußen.
Wir sitzen in der Falle, eingesperrt. Wir sind tot. Sie werden mich umbringen. Angst überfällt mich in großen Wellen. Ich starre und zittere.
Stancato liegt auf dem Bauch nahe am Eingang; er schwenkt sein Gewehr hin und her und verbreitet im großen, geschwungenen Bogen sengendes Feuer. Draußen liegen Leichen. Und eine halb drinnen. Der namenlose Gorillajunge. Er hat mehr als ein Geschoß abbekommen. Sein Körper ist in zwei Teile zerrissen. Die untere Hälfte liegt beim Ausgang. Der Rest hängt überall in der Höhle.
An meinen Kleidern klebt Blut. Ich betrachte es, und mir ist schlecht. Ich möchte wieder schlafen.
Irgend etwas explodiert direkt vor unserem Unterstand, und Splitter fetzen in die Höhle und prallen von der Felswand ab. Aber niemand wird getroffen. Überall wird geschrien, drinnen wie draußen. Ich bringe überhaupt keinen Sinn in all den Lärm.
Vogelscheuche liegt neben Stancato mit dem Rücken zum Eingang; er schiebt gerade ein neues Magazin in sein Gewehr. Er sieht mich an und bleckt die Zähne. Dann richtet er sich auf, greift nach meinem Gewehr und rammt es mir in den Magen. „Schieß! Kämpf! Du verfluchtes grünes Arschloch, schieß !“
Er dreht sich wieder zum Eingang und fällt auf die Knie.
Und eine Kugel trifft ihn mitten durch den Hals. Blutüberströmt und schreiend sinkt er zurück und fällt auf mich.
Er hat sein Gewehr fallen lassen. Ich hebe es auf und reiche es ihm, aber er nimmt es nicht.
„Andy“, sagt Stancato. „Hinlegen. Hinlegen, bevor sie dich erwischen.“ Er feuert beim Reden und hört gar nicht auf. So effizient, so ruhig. Er sieht nicht so aus, als ob er Angst hätte. Die Tötungsmaschine, der Held, der große Krieger.
Ich beschließe, es ihm zu zeigen. Ich lasse Vogelscheuche in sein eigenes Blut fallen, lege mich neben Stancato, nehme mein Gewehr hoch und schließe den Finger um den Abzug.
Draußen dämmert der Morgen. Sonntagmorgen. Schon halb zu Hause, aber jetzt sind sie hinter mir her. Ich kann sie allerdings nicht sehen. Nur Lichtpunkte an zwei oder drei Stellen, von wo aus ihr Feuer über den Höhleneingang harkt. Und die Positionen bewegen sich.
Ich gebe Feuer. Die Kugeln strömen stetig heraus. Es gibt keinen Rückstoß. Das Gewehr wird nur ein wenig warm. Ich schieße nicht auf irgend etwas Bestimmtes, ich radiere nur die Bäume weg. Vielleicht treffe ich etwas, aber ich bin nicht besonders darauf aus.
Mein Schießen hat Stancato entlastet. Er hört auf, um nachzuladen; er gleitet ein Stück weit zurück in die Höhle, zieht geduckt ein Magazin aus seinem Gürtel und schiebt es ruhig in das Gewehr. Er fummelt nicht, er hetzt nicht. Macht keinen Fehler. Eine Sekunde später ist er wieder neben mir, und wir beharken die Bäume gemeinsam.
Jemand schreit. „Wir haben einen“, sage ich und höre auf zu schießen.
„Vielleicht wollen sie nur, daß wir das glauben“, sagt Stancato. „Sie wollen, daß wir herauskommen. Sie können nicht herein, aber sie wissen, daß wir in der Falle sitzen.“
In der Falle. Ja. Es fällt mir wieder ein. Wir sitzen in der Falle. Wampe, der große Veteran, unser furchtloser Kumpel, er hat uns in die Falle geführt, er hat uns wahrscheinlich umgebracht. Ich bin rasend vor Wut. Stancato feuert allein.
Dann wird mir klar, daß Wampe gar nicht in der Höhle ist.
„Wo ist er?“ frage ich
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