Kopernikus 4
wenig über das Experimentalstadium hinausgekommen. Die Wunder der Zukunft scheinen bislang lediglich aus genialen Modifikationen bereits vorhandener Errungenschaften zu bestehen.
„Primitiv“, sagt Bud ihm. „Sie achten nur darauf, daß alles möglichst einfach und leicht zu handhaben bleibt. Ob ihr’s glaubt oder nicht, sie können sogar den Treibstoff von Hand zuführen. Die ganze Ausrüstung ist das Einfachste vom Einfachen.“
Aber Lorimers technisches Interesse erlahmt schon bald. Er möchte im Grunde genommen nur eine Weile allein sein. Er unternimmt einen vergeblichen Versuch, die wenigen neuen Errungenschaften seines eigenen Fachgebietes zu lernen, doch er kann sich nicht konzentrieren. Ach, zum Teufel damit, sagt er zu sich selbst, ich habe schon vor dreihundert Jahren aufgehört, ein Physiker zu sein. Die große Erleichterung, aus der engen Zelle der Sunbird herauszukommen; er hat es sich abgewöhnt zu lernen, er schwebt einfach nur im Schiff herum, spielt ab und zu mit ihrem 400-mm-Teleskop oder sieht einfach nur der Besatzung zu.
Als er herausfindet, daß Lady Blue Schach spielt, treffen sie sich zweimal wöchentlich zu Turnieren. Ihre Persönlichkeit fasziniert ihn, sie hat eine Aura der Autorität um sich. Doch sie unterbricht Bud sehr rasch, wenn er sie „Kapitän“ nennt.
„Niemand kommandiert hier in diesem Sinne. Ich bin nur die älteste, das ist alles.“ Bud bleibt daraufhin bei „Ma’am“.
Sie spielt ein solides Positionsspiel, irgendwie etwas spontaner als ein Mann, doch gelegentlich mit eleganten Fallen. Lorimer ist überrascht zu sehen, daß es nur eine einzige neue Eröffnung gibt, eine interessante Königinnen-Eröffnung, die Dagmar-Zug genannt wird. Eine neue Eröffnung in drei Jahrhunderten? Er erwähnt das den anderen gegenüber, als sie damit fertig sind, Judy Paris und Andy beim Überholen der Heckkonverter zu helfen.
„Sie haben es nirgendwo weit gebracht“, sagt Dave. „Das meiste des Neuen stammt aus der Zeit der Epidemie. Andy, wenn du bitte entschuldigst: Das Programm scheint zu stagnieren. Ihr arbeitet an diesem Titan-Projekt jetzt schon seit über achtzig Jahren.“
„Wir werden’s schaffen“, grinst Andy.
„Komm schon, Dave“, sagt Bud. „Judy und ich fordern euch für ein Bridgeturnier mit Hähnchenessen heraus. Die Verlierer müssen die Leguane aus dem Treibhaus essen.“
Das Essen ist gut. Lorimer ertappt sich häufig dabei, wie er am Kücheneingang herumlungert und jedem hilft, der gerade Dienst tut. Er kaut an ihren verschiedenen Wurzeln und Gemüsen herum, während er ihnen beim Reden zuhört. Ihm schmecken sogar die Leguane. Er beginnt Gewicht anzusetzen, tatsächlich tun sie das alle. Dave befiehlt doppelte Arbeitsschichten.
„Sollen wir etwa nach Hause laufen, Davie?“ grölt Bud. Doch Lorimer findet es schön, einfach in der Turnhalle die Pedale zu treten oder an den Streben zu ziehen, während die Frauen schwatzen oder Bandaufzeichnungen zuhören. Vertraute Musik: Er identifiziert ein merkwürdiges Spektrum von Händel, Brahms, Sibelius, über Strauß bis hin zu Balladen und melodischem Jazzrock. Keine Lyrik. Aber eine ganze Menge aufschlußreicher Texte, zweifellos nur seinetwillen ausgewählt.
Aus dem versprochenen, kurzen geschichtlichen Abriß erfährt er mehr über die Epidemie. Es scheint sich um einen Quasi-Virus gehandelt zu haben, der aus einem franko-arabischen Militärlabor entkommen konnte, wahrscheinlich ansteckend.
„Es hat offensichtlich nur die Reproduktionszellen angegriffen“, erklärt er Bud und Dave. „Die akute Sterblichkeit war nur gering, die Sterilität jedoch fast universell. Wahrscheinlich eine molekulare Substitution im Genkode der Gameten. Die größte Wirkung scheint die Krankheit bei den Männern gezeigt zu haben. Sie erwähnen einen Rückgang an männlichen Geburten danach, was darauf schließen läßt, daß der Schaden beim Y-Chromosom lag, was selektiv letal für den männlichen Fötus war.“
„Ist es noch immer gefährlich, Doc?“ fragt Dave. „Was geschieht mit uns, wenn wir wieder daheim sind?“
„Das wissen sie selbst nicht. Die Geburtenrate ist wieder normal, langsam steigend. Aber die gegenwärtige Bevölkerung kann resistent sein. Sie sind sich nicht sicher.“
„Gibt es also nur eine Möglichkeit, es herauszufinden“, sagt Bud mit Grabesstimme. „Ich melde mich freiwillig.“
Dave würdigte ihn kaum eines Blickes. Außergewöhnlich, wie er noch immer die Befehlsgewalt hat, denkt
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