Kopernikus 7
und fährt nach Hause.
Drinnen im vollgepfropften, schweißstickigen Bus gesteht er sich zum ersten Mal ein, daß er vielleicht alt wird.
Masons Wohnung lag am Rande eines dicht bebauten Viertels in einer Straße von heruntergekommenen sechsstöckigen Sandsteingebäuden. Es waren nicht direkt Slums, nicht wie die Gegend, in der die Farbigen wohnten (Mason sagte stur „Farbige“, auch wenn die Jungs in der Fabrik von „Niggern“ sprachen), und nicht wie der Bezirk, wo die jungen Leute, die Beatniks, hausten, aber eine Gegend mit niedrigen Mieten, ja. Arbeiter wohnten hier, Leute mit geringem Einkommen. Die weißen Armen versteckten sich hier seit 1920 und spähten hinter dicken, verblichenen Vorhängen und rissigen Jalousien hervor. Manche von ihnen waren nie hier herausgekommen. Die Einwanderer waren von den Schiffen herunter in dieser Gegend untergetaucht, sie waren immer noch hier, waren immer noch Einwanderer, noch nach dreißig Jahren, nur älter und verblichener, wie vergilbte Photographien. Alle die, denen es nicht gelungen war, betrügerische Politiker oder Gangster oder unehrliche Rechtsanwälte zu werden – alle vergessen: graue, menschliche Überbleibsel. Auf den Briefkästen standen abwechselnd Namen wie Goldstein, Kowalczyk und Ricciardi. Es war eine dunkle, stille Gegend mit wenigen großen Geschäften, ohne Kinos und ohne richtige Restaurants. Es gab ein paar Bowlingbahnen. Am nächsten drang die Zivilisation bis hierher in Gestalt eines hohen Betongebäudes mit Apartments für kriegsversehrte Veteranen, das ein oder zwei Blocks weit im Osten stand, sowie in dem stromlinienförmigen, chromblitzenden, neonschimmernden Einkaufszentrum etwa eine halbe Meile weiter im Westen, am Rande einer Hauptverkehrsader. Im Norden leuchteten die Lichter der Stadt, und Hochhäuser wanderten über den Horizont nach Süden: H. G. Wells-Marsianer, riesige Flächen von wichtigtuerisch blitzenden Fenstern.
Mason stieg aus. Am Rinnstein war eine Pfütze, und er trat mitten hinein. Er spürte, wie das Wasser seine Socken durchnäßte. Der Bus ließ verächtlich seine Türen hinter ihm zuschnappen. Rumpelnd fuhr er davon, nicht ohne ihm den Auspuff qualm ins Gesicht zu furzen. Mason machte sich platschend auf den Heimweg, eingehüllt vom Regendunst, und die Feuchtigkeit legte sich perlend auf Stirn und Lippen. Seine Schuhe quietschten. Ein schwerer Kochdunst lag in der nassen Luft, würzig und fremdartig. Irgendwo klapperte jemand mit Mülltonnen. Autos hupten ihn klagend an, als sie vorüberrauschten.
Mason achtete nicht auf sie, er fummelte automatisch nach seinem Schlüssel, als er sich der Haustür näherte. Er versuchte sich eine Ausrede auszudenken, um heute abend zu Hause zu bleiben. Heute war Dienstag, sein Bowlingabend. Kaplan würde bald anrufen, und er würde ihm etwas erzählen müssen. Er hatte einfach keine Lust auf Bowling, und sie könnten ja umdisponieren und Johnson an seiner Stelle einsetzen. Er stieß den Schlüssel gegen das Schloß. Geh schon rein, verdammt. Es wäre das erste Mal in sechs Jahren, daß er nicht zum Bowling ginge. Selbst im letzten Herbst, als er die Grippe hatte – Himmel, wie hatte Emma darüber gemeckert. Als wäre er von seinem Totenbett aufgestanden. Sie hatte sich immer viel zu sehr um ihn gesorgt, immer noch, nach sechs Jahren. Aber zum Teufel, jetzt hatte er eben keine Lust, und das war alles. Es würde nichts schaden, es war sowieso nur ein Trainingsabend. Er konnte es sich leisten, diese eine Woche auszusetzen. Himmelarsch, was war denn mit diesem Schloß los? Mason bleckte im Dunkeln die Zähne. Wie viele Jahre wirst du brauchen, um zu lernen, welchen
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