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Kopernikus 7

Kopernikus 7

Titel: Kopernikus 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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es gut be­zahlt. Er ver­rich­te­te sei­ne Ar­beit mit dem glei­chen me­tho­di­schen Des­in­ter­es­se, das er für je­den an­de­ren Job auf­ge­bracht hat­te. Es war sein Job, es war das, was er tat.
    Je­den Tag stand Ma­son da mit sei­nem Ham­mer und tö­te­te Kü­he.
     
    Es reg­ne­te: ein ru­ßi­ger Stadt­re­gen, der einen eher schmut­zig als naß wer­den läßt. Ma­son steht im Re­gen an der Bus­hal­te­stel­le und war­tet auf den Bus, wie er es je­den Tag tut, wie er es in den ver­gan­ge­nen sechs Jah­ren je­den Tag ge­tan hat. Er hat den Kra­gen hoch­ge­schla­gen, um den Wind ab­zu­hal­ten, die Hän­de in den Ta­schen, kei­nen Hut, und sein Haar klebt feucht auf sei­ner Stirn. Er steht ein we­nig ge­beugt da, der Kopf hängt kaum wahr­nehm­bar her­ab – er ist mü­de, die Mus­keln in sei­nen Schul­tern sind kno­tig von der An­stren­gung, und sein Nacken brennt. Die über­mä­ßi­ge Er­schöp­fung sei­nes Kör­pers ver­blüfft ihn; mit leich­tem Un­be­ha­gen ver­la­gert er sein Ge­wicht von ei­nem Fuß auf den an­de­ren – es ist mör­de­risch, hier zu ste­hen, nach­dem man den gan­zen Tag auf den Bei­nen war, und er spürt es in den Schen­keln und in den Wa­den. Er hat wie­der sei­nen Re­gen­man­tel ver­ges­sen. Er ist ein großer Mann, kräf­tig in Brust und Schul­tern, mit lan­gen Ar­men, brei­ten, mus­ku­lö­sen Hand­ge­len­ken und schwe­ren, re­si­gnier­ten Ge­sichts­zü­gen. Er­zeigt die ers­ten An­sät­ze ei­nes zu­künf­ti­gen Spitz­bau­ches, und bald wird er Spreiz­fü­ße ha­ben. In sei­ner Per­so­nal­ak­te (ver­trau­lich) steht: nicht ag­gres­siv und von un­ter­durch­schnitt­li­chem Durch­set­zungs­ver­mö­gen, mit ge­rin­gem Ener­gie­po­ten­ti­al, anal ori­en­tiert (ar­beit­sam, sorg­fäl­tig, tüch­tig), höchst an­pas­sungs­fä­hig, nicht ent­schei­dungs­freu­dig, kann je­doch in un­te­ren Po­si­tio­nen Ver­ant­wor­tung tra­gen, ar­bei­tet am bes­ten im Team, kein Un­ru­he­stif­ter: ein gu­ter Ar­bei­ter. Er selbst be­zeich­net sich häu­fig als Trot­tel, al­ler­dings ge­wöhn­lich in scherz­haft ge­mil­der­ten Zu­sam­men­hän­gen (z.B.: „Him­mel, so was dürft ihr doch einen ar­men Trot­tel wie mich nicht fra­gen!“ oder: „Schei­ße, ich bin doch bloß ein däm­li­cher, schuf­ten­der Trot­tel.“) Er ist Mit­te Drei­ßig, auf der ab­stei­gen­den Sei­te. Er wur­de hier ge­bo­ren, in ei­ner Ein­wan­de­rer­ge­gend, als ein­zi­ges Pres­by­te­ria­ner­kind in ei­nem Meer von ka­tho­li­schen Aus­län­dern – er muß­te zwei Mei­len weit zur Sonn­tags­schu­le lau­fen. Er wuchs auf im In­dus­trie­vier­tel der Stadt, quäl­te sich durch High School und Ar­mee, zog dann von Job zu Job, von Stadt zu Stadt, als Tel­ler­wä­scher, Kell­ner, Bau­ar­bei­ter (Mu­sik­bo­xen, Hin­ter­zim­mer, Sä­ge­mehl, Son­ne, Was­ser aus Blechei­mern), ar­bei­te­te hier vier Mo­na­te, dort sechs, auch mal ein Jahr, und dann wie­der zu­rück auf die Stra­ße, un­ter­wegs, und nach acht Jah­ren war er wie­der in sei­ner Hei­mat­stadt und in sei­nem al­ten Job (den er vor der Ar­mee ge­habt hat­te), und der Kreis war ge­schlos­sen. Als er dies­mal die Rast­lo­sig­keit wie­der spürt, nach ei­nem Jahr, läuft er den gan­zen Weg bis zum Bus­bahn­hof (und da sitzt er dann, um drei Uhr mor­gens, es ist lau­sig kalt, und er ist al­lein in der rie­si­gen, lee­ren Hal­le, und erst dort er­kennt er, daß er nichts mehr hat, wo­hin er ge­hen könn­te, und nichts, was er dort tun könn­te. Er fährt nicht weg. Er bleibt: zwei Jah­re, drei, vier, und jetzt sechs – län­ger als er je zu­vor ir­gend­wo ge­blie­ben ist. Sechs Jah­re, die sich her­an­schlei­chen und vor­über sind, ehe er es ge­merkt hat, ganz un­ver­se­hens (Be­triebs­aus­flü­ge, Weih­nach­ten, Him­mel – schon wie­der die Steu­er?), die Zeit ver­schwimmt zu ei­nem öli­gen, grau­en Knäu­el und hin­ter­läßt nichts als al­te Ka­len­der. Er wird nie wie­der un­ter­wegs sein. Er bleibt end­gül­tig hier. Die Zu­kunft ist Ver­gan­gen­heit ge­wor­den, oh­ne die Ge­gen­wart je zu strei­fen. Er be­greift nicht, was mit ihm ge­sche­hen ist, aber all­mäh­lich be­kommt er Angst.
    Er steigt in den Bus

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