Kopernikus 7
Wirklichkeit war, und dann eine Linie ziehen, die einen ausschloß (ohne jemals tatsächlich etwas zu sagen, und das würde es nur noch schlimmer machen), und man würde dastehen mit heraushängendem Schwanz, schamrot und schwitzend – zu grob, zu teigig und zu ungehobelt –, und seinen Hut nervös in seinen klobigen, unbeholfenen Händen drehen. Aber dem Mann und der Frau im Fernsehen würde so etwas nie passieren.
Mason merkte, daß er in blinder Wut bebte; er zitterte, als wollte er sich in Stücke reißen, auseinanderbrechen, ohne zu wissen, warum. Seine Wut flößte ihm Staunen und Schrecken ein, seine Eingeweide zogen sich zusammen, seine großen, schwieligen Fäuste öffneten und schlossen sich angesichts der Ungerechtigkeit, der Monstrosität, des Schleims, der Millionen verpißter Leben, und er wälzte seinen Zorn in sich herum, verrührte ihn wie eine trübe Flüssigkeit, schlug ihn zu Schaum.
Sie mußten nie für etwas bezahlen. Sie schwitzten nie, und sie schissen nie. Sie rochen nie schlecht und wurden niemals schmutzig. Sie hatten niemals Dreck unter den Fingernägeln, niemals Blasen an den Händen und niemals blutverschmierte Unterarme. Der Mann hatte nie Fünf-Uhr-Stoppeln im Gesicht, die Frau trug nie Lockenwickler wie Emmy, ihr Atem roch nicht sauer, und sie befahl ihrem Geliebten niemals, den Abfalleimer hinauszutragen. Sie furzten nicht, und sie rülpsten nicht. Sie trieben keinen Sex – sie machten Liebe, und das war nichts als transzendentale Wonne: ohne die Würdelosigkeit von zuckenden Leibern und ungeschickt ineinander verschlungenen Gliedern, ohne mühsames Fummeln, unzusammenhängende Worte und heisere, tierische Laute, und danach atmete er ruhig, und ihr Haar war wohlgeordnet, es gab keinerlei Körperflüssigkeiten, und das Bettzeug war nicht befleckt oder zerknüllt. Und die Welt, in der sie sich ihr Leben lang bewegten, war ein Spiegelbild ihrer eigenen Vollkommenheit: Sie war schön, sauber und ordentlich. Villen. Riesige Rasenflächen. Baumgesäumte Straßen mit sauber gestrichenen Häusern. Und ihr Stil brachte ihnen auch noch Glück. Die Götter lächelten für sie, und ein wohlwollendes Schicksal gab ihnen nur die besten Karten in die Hand. Sie glitten durch das Leben, ohne die Füße bewegen zu müssen, lächelnd, unangetastet und prächtig: wie eine geschmückte Bark bei der Flottenparade – im Schlepptau anderer. Sie sprengten die Bank bei jedem Spiel in der Stadt. Alles verlief genau nach ihren Wünschen. Der Zufall wurde zu einem Verrenkungskünstler, damit immer alles zu ihren Gunsten endete.
Weil sie Klasse hatten. Weil sie oben waren.
Mason richtete sich keuchend auf. Er hatte den Aschenbecher auf dem Boden liegengelassen. Wie betäubt stellte er die Bierdose daneben. Seine Hand zitterte. Er fühlte sich, als hätte man ihm einen Tritt in den Magen versetzt. Sie hatten Qualität. Er hatte nichts. Mit einem Mal sah er alles ganz deutlich: alles das, wovor er sein Leben lang davongelaufen war. Er war ein Stück Scheiße. Es war nicht zu leugnen. Er lebte in einem Scheißhaus, er arbeitete in einem Scheißhaus. Seine ganze Welt war ein gigantisches Scheißhaus: eine dicke, schwarze, urzeitlich blubbernde Flüssigkeit, der schwere, dumpfe Geruch der Verwesung. Er war umgeben von Scheiße, er wälzte sich darin. Er war Scheiße. Schon jetzt, erkannte er, war es völlig ohne Bedeutung, daß er je gelebt hatte. Du bist nichts, sagte er zu sich, du bist Scheiße. Du warst noch nie etwas anderes als Scheiße. Du wirst nie etwas anderes sein als Scheiße. Dein ganzes Leben war nichts als Scheiße.
Nein.
Blind schüttelte er den Kopf.
Nein.
Es gab nur eine einzige außergewöhnliche
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