Blutkult (German Edition)
Prolog
Einst war es ein fruchtbares Landstück voller Bäume und Wiesen gewesen. Doch dann kam der Nebel und hatte mit seinen dichten Schwaden den Himmel verhüllt. Bedrohlich verharrte er über dem Tal von Nemar. Inmitten der Düsternis verloren die Bäume ihre Blätter, ihre Wurzeln faulten, und sie starben. Die grünen Wiesen verwandelten sich in Sümpfe, und die zuvor noch so klare Luft, war seitdem vom Gestank der Fäulnis erfüllt. Fortan herrschte die tiefe Stille des Todes.
Diesen Ort nannten sie Heimat sie, die Strygarer, die sich vom Blut der Lebenden nährten und deren Zahl nun in die Hunderte ging.
Die blasse Haut ihrer drahtigen Leiber war nur spärlich mit Fetzen aus Leder und Fell bedeckt. Eine rissige Kruste aus Blut und Schlamm hatte ihre Gesichter längst entstellt.
Nichts mehr an ihnen erinnerte noch an die Völker, denen sie entstammten. Hier, inmitten des Tals, unter dem schützenden Tuch des grauen Nebels, waren sie alle gleich.
Wieder einmal hatten sie sich um den See herum versammelt, den sie den Brunnen des Lebens nannten. Seine Quelle entsprang einzig und allein den Leibern unzähliger Opfer, deren Blut seine Untiefen gefüllt hatte.
An seinem Ufer ragte ein Fels empor, der auf kunstvolle Weise die gemeißelte Fratze ihres Götzen in sich trug. An höchster Stelle war ein breiter Steinaltar errichtet. Darauf lag e ine nackte Gestalt, in schwere Ketten gelegt, zur Regungslosigkeit verdammt. Es war einmal ein gewaltiger Krieger von übermenschlicher Kraft gewesen, seinen Handrücken zierte ein schwarzes Mal in Form einer lodernden Sonne. Jetzt war er nichts als ein Opfer. Von monumentalem Zorn erfüllt, knurrte er jene Worte heraus, die seine letzten sein sollten: „Eines Tages wird jemand kommen, der eure widerliche Brut auslöscht.“
Die Augen des Schlächters waren von einer Gier erfüllt, wie sie kein menschliches Wesen je kennen konnte oder durchlebt hatte. Er, der die Existenz von Hunderten auf rituelle Weise beendet hatte, wusste um den besonderen Wert dieses neuen Opfers, er kannte die Kraft, die dessen Blut innewohnte.
Der Mund des Schlächters öffnete sich, entblößte spitze Eckzähne, denen einer Fledermaus ähnlich, und er zischte dem Todgeweihten zu: „Oh du gefallener Gott, wisse, dass die Strygarer ewig leben werden. Wisse, das wir uns die Welt und alles was darauf lebt, zur Beute machen.“
„ Leben bedeutet Blut, Blut bedeutet Leben“, riefen viele Stimmen im Chor.
Der Schlächter hob das lange Messer, dessen von Runenkraft erfüllte Klinge die Luft knistern ließ. Widerstandslos führte er ihren pechschwarzen Stahl an die Kehle des Opfers und vollzog einen langen Schnitt. Nur kurz spritzte das Blut, das Opfer zuckte, verkrampfte sich, gleich Trommelschlägen hämmerte das Herz.
Ein langer dunkelroter Strom floss zum Fuß des Altars, triefte über die graue Götzenfratze hinweg, benetzte deren steinerne Lippen, um schließlich in den See zu münden.
Im Gesicht des Opfers regierte Fassungslosigkeit. Schon viele Verwundungen hatten seinen Leib heimgesucht und waren binnen weniger Atemzüge verheilt, ohne Narben zu hinterlassen. Nicht aber hier und heute. Inmitten der Trostlosigkeit dieses Tals, im Angesicht monströser Kreaturen, endete ein Leben, das ewig hätte währen können, und vieles von der Macht dieses Lebens würde in Kürze die Leiber der Strygarer erfüllen.
„ Unser Zeitalter beginnt endlich, unser Reich wird kommen!“
Und noch während der letzte röchelnde Atemzug zwischen den Lippen des Opfers hervordrang, knieten die Strygarer allesamt am Ufer nieder und begannen aus dem Brunnen des Lebens zu trinken.
Sie waren mächtig genug geworden, um sich nicht länger verstecken zu müssen. Sie würden hinausziehen zu den Dörfern und Städten, um zu jagen, zu morden und sich an immer mehr Blut zu laben.
Kapitel 1 – Der Gott der Rache
Der Pass schlängelte sich zwischen den Felsen hindurch. Die zerklüftete Berglandschaft im Westen Kanochiens war kein guter Ort für Menschen, die allein reisten. Viele Wegelagerer trieben hier ihr Unwesen. Die Höhlen in den Bergen boten ihnen Zufluchtsorte, von deren Eingängen aus, sie die Reisenden auf dem Pass gut beobachten konnten.
Mehr als ein Dutzend gieriger Blicke waren bereits auf einen Reiter gerichtet.
Das Pferd, auf dem er saß war riesengroß und entstammte der kalten Taiga des Nordlandes Kedanien. Der Reiter aber war kein Nordmann, wenn er auch von ähnlich stattlicher
Weitere Kostenlose Bücher