Kopf hoch, Freddie
den Bus schon versäumt, aber morgen wollte sie fahren und in der Stadt direkt zur Polizei gehen. Bis dahin wollte sie keine Panikstimmung mehr aufkommen lassen. Ja, sie würde immer um Maurice trauern, aber nicht mehr voll Angst und voller Selbstvorwürfe! Von nun an wollte sie vernünftig handeln.
Plötzlich kam ihr der Gedanke, Jonathan anzurufen. Sie wählte seine Privatnummer, und die Stimme von Mrs. James sagte: »Doktor Blake mußte fort und kommt erst übermorgen zurück.«
»Danke«, sagte sie verzweifelt. »Nein, es gibt nichts auszurichten«, und damit legte sie auf. Bis er zurückkam, war sie schon längst in der Stadt bei der Polizei.
Langsam schleppte sich der lange Tag hin, der unglücklichste Tag in Freddies Leben. Stunde um Stunde trauerte sie um Maurice, und Stunde um Stunde warf sie sich Feigheit vor.
Als die Dämmerung einbrach, fühlte sie sich verzweifelt einsam. Sie stand am Fenster, sah auf den Strand hinab, auf die triste Winterszenerie, und ein Schauer überfiel sie.
Das Haus lag völlig isoliert. Wahrscheinlich würde ohnehin kein Mensch das Licht sehen, trotzdem hatte sie Angst, es anzumachen. Es hätte zweifelhafte Typen anziehen können — Verbrecher, die eine Zuflucht suchten, wie sie! Sie lauschte angestrengt nach dem kleinsten Geräusch und spähte nervös in die Schatten hinaus, die immer dichter wurden.
Noch nie war sie so völlig allein gewesen. Wenn ihr jetzt etwas zustieß, würde es kein Mensch erfahren. Zu ihrem Schrecken glaubte sie draußen Schritte zu hören...
Ja, es waren Schritte — auf der Veranda war jemand. Verzweifelt sah sie sich nach einem Versteck um. Doch dafür war keine Zeit mehr. Ein lautes Pochen an der Tür ertönte, sie wurde geöffnet — ein schneller Schritt im Gang, und dann erklang Jonathans Stimme: »Freddie, wo bist du? Der Strom ist doch hoffentlich nicht abgestellt?«
Hätte er etwas weniger Nüchternes und Vernünftiges gesagt, wäre sie vielleicht einem Schwächeanfall erlegen. So aber streckte sie ihm nur in einer unendlich hilflosen und mitleiderweckenden Geste die Hände entgegen und sagte leise: »Jonathan, ach Jonathan!«
Er nahm ihre Hände und sagte hastig: »Tut mir leid, daß ich so spät komme, aber die Fahrt war lang. Jetzt bin ich jedenfalls da. Wie wär’s mit etwas Eßbarem?«
Er betätigte versuchsweise den Schalter, und das Licht funktionierte. Als er ihr Gesicht sah, unterdrückte er einen mitleidigen Ausruf und fragte nur: »Wie bist du hergekommen?«
Sie warf sich statt einer Antwort in seine Arme und rief aus: »Ich habe ihn getötet — getötet«, wobei sich ihre Stimme in hysterischer Weise steigerte.
Er zeigte ihr nicht die Zärtlichkeit, die er für sie fühlte, auch kein Mitleid, sondern schob sie von sich, packte sie an den Schultern und sprach sie mit allem Nachdruck an: »Sei still! Hör zu! Du hast Maurice Gresham nicht getötet. Hörst du? Hör mit dem Gejammer auf und hör zu! Du hast Maurice nicht getötet!«
»Doch, das habe ich. Ich bin ihm in den Arm gefallen, und der Wagen kam ins Schleudern. Es war meine Schuld!«
Er schüttelte sie leicht und sagte langsam, als ob er zu einem Kind spräche: »Er ist nicht tot. Er wird nicht sterben. Er wurde schwer verletzt, aber er wird wieder aufkommen.«
Sie hörte es, erfaßte aber den Sinn der Worte nicht. Sie sagte nur: »Ich habe ihn auf der Straße liegen sehen. Die Leute sagten, er sei tot, ich habe es gesehen.«
»Denk nicht mehr daran. Du hast einen Bewußtlosen gesehen, keinen Toten. Maurice wird nicht sterben. In einem Vierteljahr ist er gesund. Er ist bei Bewußtsein, hat keine großen Schmerzen und versichert dich seiner Liebe.«
Das war zuviel für Freddie. Sie brach in Tränen aus.
Er sah ihr eine Weile zu und machte gar nicht den Versuch, ihr verzweifeltes Schluchzen einzudämmen. Er konnte sich vorstellen, was sie durchgemacht hatte — körperlich wie seelisch. Endlich ging er in die Küche und überließ Freddie sich selbst.
Nach zehn Minuten kam er mit einer großen Tasse dampfenden Tees und einem Teller mit Toast wieder. Freddie saß zusammengesunken im Sessel und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Aufmunternd sagte er: »Ich habe dir zehn Minuten Zeit gelassen, das müßte eigentlich reichen. Jetzt nimm dich zusammen und trink das. Ich habe eine lange Fahrt hinter mir und möchte auch etwas essen.«
Sie hob ihr tränenverschmiertes Gesicht zu ihm auf und sagte leise: »Das Weinen hat mir gut getan. Es hat mich richtig
Weitere Kostenlose Bücher