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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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treten, was ihr nicht gelang, weil immer mehr Menschen an den Stand drängten. Von links wurden Henry Erdnüsse gereicht, von rechts Salzstangen. Jemand rief ihm ein Kompliment zu, lobte die Schärfe der Analyse, die der poetischen Darstellung keinen Abbruch tue. Henry wollte sich umdrehen und bedanken, konnte aber niemanden erkennen, da ihn plötzlich gleißendes Licht blendete. Gleichzeitig schwollen die Stimmen zu einem Murmeln an. Kameraauslöser klickten, Blitzlichter zuckten über die Köpfe. Er sah ein Fernsehteam, und er erkannte, wer im Zentrum des Lichts stand: Es war ein bundesweit bekannter Transvestit, ein Zweimeterhüne mit breitem Kinn und hartem Mund. Sein Gesicht war geschminkt, als hätte sich ein Soldatenara in Marcel Marceaus Gesicht verbissen, dachte Henry. Der Transvestit und seine Entourage gingen den Gang entlang und bogen weiter vorn um die Ecke.
    Â»Furchtbar«, sagte die PR-Frau, »sie hat ihre Memoiren veröffentlicht.«
    Â»Wie alt ist er denn?«
    Â»Sie ist vierzig«, sagte die PR-Frau und bezeichnete es als Schande für die Branche, dass die Memoiren in einem Verlag erschienen, der ansonsten deutsche Klassiker und die Klassiker der internationalen Moderne veröffentlichte.
    Â»Die Zeiten ändern sich«, sagte Henry.
    Gegen neunzehn Uhr war er auf seinem Hotelzimmer. Er hatte vier Rundfunkinterviews absolviert, drei für Zeitungen und eines fürs Fernsehen. Er wurde den Verdacht nicht los, vor der Kamera gestammelt zu haben. Zu viel Zeit war zwischen dem Ende der Fragen und dem Beginn seiner Antworten verstrichen. Er trank zwei Bier aus der Minibar, aß eine Dose Erdnüsse dazu und sah sich auf einem Musiksender Videoclips an, statt auf eine der Partys zu gehen, die von den Verlagen gegeben wurden.
    Die PR-Frau strahlte, als er am nächsten Morgen am Stand auftauchte. Sein Buch war in zwei der fünf wichtigen überregionalen Tageszeitungen besprochen worden.
    Henry hatte zwei weitere Rundfunkinterviews hinter sich zu bringen sowie ein informelles Gespräch mit der Chefredakteurin eines Frauenmagazins, dann war er fertig.
    Abends kurz nach zehn stieg er in den Zug nach Berlin. Er ging ins Bordbistro, bestellte ein Bier, und der jungen Serviererin, die es ihm über die Theke reichte, gab er ein übertrieben großes Trinkgeld. Außerdem schenkte er ihr ein Lächeln, das sie scheu erwiderte.
    Dann nahm er einen großen Schluck und presste seine Stirn an die kühle Scheibe: Draußen flog die glimmende Skyline Frankfurts vorüber, die ihn an London erinnerte: Bettina kehrte in seine Gedanken zurück.

7.
    Nach fünf Tagen pfiff Henry auf den 38. Breitengrad, auf die demilitarisierte Zone und auf den ganzen verdammten Krieg, der Korea geteilt hatte.
    Er hatte sich noch nicht einmal erkundigt, wie er dorthin gelangen könnte, ob ein Zug ging oder ein Bus fuhr. Die Sache war ihm jetzt schlichtweg egal, es gab Wichtigeres zu tun, Persönliches. Es ging – irgendwie – um Liebe.
    Einen vorzeigbaren Artikel würde er seinem Chef dennoch abliefern können, man musste schließlich nicht alles mit eigenen Augen gesehen haben, um darüber zu schreiben, man musste den Boden nicht betreten haben, um sich die Schlachten vorstellen zu können, die auf ihm stattgefunden hatten. Er beschloss, stattdessen ins War-Memorial-Museum zu fahren, das nur wenige Taximinuten vom Hotel entfernt lag. Vielleicht kam ja Birte mit, dann ließ sich das Notwendige mit dem Angenehmen kombinieren.
    Henrys Buch war ein kleiner Sensationserfolg geworden. Zwei Wochen nach der Messe war auch im wichtigsten politischen Wochenmagazin des Landes eine Rezension erschienen, und zwar ein Verriss, der erste eigentlich. Der Rezensent, ein ehemaliger Bürgerrechtler, beklagte in larmoyanter Art, dass Henry sich nur deshalb über die Barbarei der Ostdeutschen mokiere, über ihre Sehnsucht, mit forscher Hand regiert zu werden, über ihre Essgewohnheiten, ihr Ideal, sich für wenig Geld in einer festen Anstellung knechten zu lassen, ihr Misstrauen dem Fremden gegenüber, weil diese angebliche Barbarei auch seine eigene Lebensdisposition sei. Er versuche mit dem Buch eine Distanzierung, die niemals funktionieren könne. Und das wisse er sehr gut. Nur deshalb die Schärfe und nur deshalb der Hass, ein Hass auf die Herkunft, auf das ureigene Wesen, wenn man so wolle.
    Als Höhepunkt seiner assoziativen Beweisführung

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