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Kopfgeldjagd

Kopfgeldjagd

Titel: Kopfgeldjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Homm
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weniger Minuten war es mir gelungen, einen ordentlichen Aufstand anzuzetteln. Einige Insassen verlangten in meinem Namen nach dem leitenden Seelenklempner. Eine andere äußerst wache Gruppe, die behauptete, meine Schwester besonders gut zu kennen, schlug ihre Teller auf die Plastiktischplatte und schrie: »Freiheit, Freiheit, lasst den Jungen frei!« Dieser Protestgesang dauerte nicht lange, da er umständlich war und sich nicht reimte. Ich erfand meinen eigenen deutlich überlegenen Schlachtruf: »Scheißfaschisten, Psychoterroristen! Scheißfaschisten, Psychoterroristen!« Wir gewannen schnell an Dynamik und bald rockte der ganze Saal. Alle schien unser kleiner Chor zu erfreuen. Einige Zombies waren aufgewacht und stimmten mit ein. Leider war der Chefpsychiater zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Haus und der Psycho-Nachtwächter war noch nicht da. Die philippinische Oberkrankenschwester war hilflos, während die Krankenwächter wahrscheinlich dachten: »Das übliche Theater.« Da wir noch nicht dazu übergegangen waren, den Saal zu zerstören, schien kein physisches Einschreiten oder eine verbale Antwort nötig zu sein. »Viel zu passiv«, befand ich. Das war eher eine gandhiähnliche Sitzveranstaltung denn ein Bierkellerputsch. Genauso gut hätten wir gegen einen Hurrikan der Stärke neun anschreien können. Niemand hörte zu, niemanden interessierte es.
    Ganz eindeutig durfte ich nun die Dynamik nicht verlieren, also schrieb ich eine Petition, in der stand, dass ich gegen meinen freien Willen festgehalten wurde, dass ich minderjährig war und dass alle, die diese Petition unterzeichneten, meine sofortige Freilassung verlangten und gegen meine illegale Festsetzung protestierten. Ich drohte mit rechtlichen Schritten, wobei ich damals keine Ahnung hatte, was das bedeutete. Es klang einfach wichtig. Später sollte ich sehr viel mehr über rechtliche Schritte erfahren. Ich überreichte dieses angeberische Rechtsdokument der philippinischen Oberkrankenschwester, die kaum Deutsch sprach. In einem bizarren Tagalog-Deutsch-Kauderwelsch teilte sie mir mit, dass sie nichts tun könne, bis der Psychiater der Nachtschicht eintreffe. So oder so war die Petition wertlos. Alle, die sie unterschrieben hatten, waren bereits als geschäftsunfähig erklärt worden, geschweige denn, dass sie meine Geschäfte hätten wahrnehmen können.
    Als ich gerade dabei war, den dritten Feuerlöscher von der Wand zu nehmen, um meine aktiveren Freunde in die Lage zu versetzen, die Infrastruktur sowie das Personal nonverbal anzugreifen, tauchte schließlich Dr. Jaspers auf. Er begriff instinktiv, was ich vorhatte, isolierte mich von meinen Mitkämpfern und zerrte mich in sein baufälliges Büro, um mich auszufragen, wer ich sei und wann ich in dieses prächtige Institut eingewiesen worden sei. Ich erzählte ihm, was passiert war. Er starrte mich ungefähr eine halbe Minute ungläubig an und bat mich dann um ein Ausweisdokument. Ich zeigte ihm meinen Pass und er ging das Patientenregister durch, um meine Geschichte zu überprüfen. Er war ehrlich bestürzt, als er erkannte, dass mich sein Boss als Geisel genommen hatte und ich zudem minderjährig war. Er sagte mir, er kenne meine Schwester nicht gut, weil sie üblicherweise in einem medikamenteninduzierten Koma läge, wenn er ankäme. Er entschuldigte sich für seinen Boss, der die Neigung hatte, seinen Job gelegentlich etwas zu ernst zu nehmen, gab zu, dass ich wahrhaftig ein Opfer einer eher bizarren Kette an Ereignissen war, und begleitete mich durch das Sicherheitstor in die Freiheit.
    Vor dem Hintergrund der überaus erfolgreichen Entführung hatten mich meine Eltern völlig vergessen. Niemand wartete draußen auf mich, nicht einmal ein lausiges Taxi, und man hatte mir auch kein Geld dagelassen, um nach Hause zu fahren. Ich musste mich fast eine Stunde in einem Eisenbahnklo verschanzen, um dem Schaffner zu entkommen. Ich stieg am Bahnhof Oberursel aus und fuhr vom ehemaligen Durchgangslager per Anhalter nach Hause. Um ungefähr drei Uhr morgens kam ich zu Hause an. Alle schliefen tief und fest. Typisch.
    Meine Schwester erholte sich ziemlich gut. Meine Eltern unterstützten sie finanziell. Sie beendete ihr Studium und wurde praktizierende Psychologin. Am Ende heiratete sie einen Topbanker und wurde Mitglied der CDU. Die Mao-Poster und Che-Guevara-Shirts verschwanden und es gab auch keine Zusammenkünfte mit suspekten Anarchisten mehr. Endlich war sie zur Vernunft gekommen.
    Geholfen hatte auch,

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