Kosmonensaga 1: Ambivalente Zone
durfte, und dafür bezahle ich jetzt. Ich vergaß die Erde, ich verriet meinen Auftrag, ich verriet meinen Bruder. Mark, ich habe dich gewollt. Du hast es nicht geahnt. Danach hast du mich benutzt und dabei immer auf etwas gewartet.
Heute begreife ich es: Du hast dich gesehnt nach der Zeit. Warte..."
Ihre freie Hand suchte in ihrem Ausschnitt und zog den vermißten wildledernen Beutel hervor.
„Mich hat sie getötet, die Zeit. Dich aber wird sie führen, denn, auch wenn du es selbst vielleicht noch nicht begreifst, du bist aus ihrem Stoff gemacht. Sie wird dir nichts anhaben können, sofern du die kosmische Gleichung kennst. Ich sage sie dir. Hör zu! Hör gut zu!"
Die Stimme wurde schwächer. Ich beugte mich tiefer.
„Hör zu, Mark, und tu, was ich dir sage! Du wirst Malus gewachsen sein! Seine Stärke lebt von der Furcht der anderen. Im Kern ist er ein Feigling. Ein Schwächling mit einer Peitsche... Mark, achte nicht auf die Peitsche in seiner Hand - sieh ihm in die Augen!"
Die letzten Sätze waren kaum zu verstehen gewesen. Es ging zu Ende. Noch einmal schlug Tamara ihre rätselhaften dunklen Augen zu mir auf.
„Die Gleichung, Mark... die kosmische Gleichung, das Maß aller Ding... Sie lautet..."
Tamara zerfiel unter meinen Blicken.
Ich drehte den Kopf, und sie sprach mir direkt ins Ohr.
„Alles ist nichts..."
Ich preßte ihre kalte Hand.
„Tamara, bitte, sprich weiter!"
Um ihre ausgebluteten Lippen schwebte ein Lächeln, als sie ihren Lehrsatz zu Ende sprach:
„...und nichts ist alles."
Das Lächeln schwebte noch um ihre Lippen, als ihr Kopf auf die Seite sank. Ein letzter Hauch noch: „Schade..." Dann war es vorbei.
„Mark, weine, wenn dir danach ist! Ich weine ja auch."
Ruth mußte irgendwann zu sich gekommen sein. Denn nun kniete sie neben mir. Und dann sagte sie:
„Sie hat etwas gesucht, wie wir alle."
Und ich gab zurück:
„Aber in einer Kleinigkeit hat sie sich geirrt. Worauf ich gewartet habe, war nie die Zeit. Du bist es gewesen, Ruth, du! Jetzt, da ich es ausspreche, wird es mir klar."
Draußen war es still geworden, Malus' rotes Schlachtschiff hatte aufgesetzt. Ich zerrte Ruth in die Höhe.
„Wir müssen uns etwas einfallen lassen."
Doch es war bereits zu spät.
Die Malusiten waren ausgeschwärmt, und innerhalb der Absperrung zickzackte ein feuerroter Hase verzweifelt hin und her. Raffael suchte nach einer Lücke im Netz.
Für den doppelten Verräter gab es kein Entkommen, und als er das begriff, fiel er vor Malus auf die Knie.
Aber auch Ruth und ich saßen in der Falle. An Flucht war nicht zu denken. Und so starrten wir wie gebannt auf das grausige Geschehen auf dem anderen Ufer des Kanals mit seiner unbeweglichen leuchtenden Flut.
Was dort gesprochen wurde, war für uns klar und deutlich zu hören - sowohl Raffaels erbärmliches Winseln um Gnade, als auch das scheppernde Gebrüll, das ihn verfluchte und verhöhnte.
„Du hast wohl gedacht, dieser Gregor Starost kann nicht mehr reden. Nun" - die Peitsche fuhr plötzlich senkrecht in die Höhe, drohendes Symbol des angebeteten Schlechten - „damit habe ich ihn noch einmal zum Reden gebracht."
Die Peitsche senkte sich und wand sich als zischende Schlange langsam auf Raffael zu.
„Und jetzt sprichst du, Raffael! Wo ist mein Prinzesschen ?"
Raffael würgte eine konfuse Antwort. Aber die Geste, die er dabei machte, war eine exakte Beschreibung.
Malus setzte das grausame Verhör fort.
„Ist sie allein?"
Raffael schüttelte den Kopf.
„Wer ist bei ihr? Sprich!"
Die Schlange hob ihr züngelndes Haupt.
„Der... der Kosmone."
Die Schlange stach blitzschnell zu. Raffael gab einen gequälten Schrei von sich und wand sich in Krämpfen. Der Mülleimer schickte sein schauriges Gelächter über den Platz.
„Du wirst noch darum betteln, endlich sterben zu dürfen. Das ist nur ein Vorgeschmack dessen, was dich erwartet."
Malus bellte einen knappen Befehl, und sein abtrünniger Vertrauter wurde ergriffen und zum roten Schlachtschiff geschleift.
Malus wandte sich der Brücke über den Kanal zu.
„Und jetzt", hörte ich ihn verkünden, „erledige ich den Rest!"
Ruth preßte meine Hand. Noch nie waren wir einander so nah gewesen.
„Wir werden es durchstehen müssen", sagte ich, „so oder so. Sieh!"
Malus stand auf der Brücke und hinderte seine Horde daran, ihm in die Schleuse zu folgen.
„Den Rest", verkündete er nochmals, „erledige ich eigenhändig. Bleibt draußen, mischt euch nicht ein, aber seht
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