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Kosmonensaga 1: Ambivalente Zone

Titel: Kosmonensaga 1: Ambivalente Zone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Brandis
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allem jedoch war es gewaltig. Keine Phantasie wäre imstande gewesen, ein auch nur annähernd vergleichbares Szenario zu entwerfen.
    Aber was hatte das, was ich jenseits des Panzerglases sah, zu bedeuten, dieses rotierende Karussell aus farbenprächtigen Federn, das so urplötzlich an die Stelle des ungestalteten Nichts getreten war? Das Karussell schien um eine feste Achse zu kreisen, ohne selbst Materie zu sein, und je wilder es sich drehte, desto größer und zahlreicher waren die lohenden Federn, die es dabei abwarf. Wie Brandpfeile zogen diese dann durch den Raum, um irgendwann und irgendwo nach einem letzten Aufflackern zu verlöschen. Jedesmal , wenn einer von diesen Brandpfeilen an der SCOUT vorüberzog, schwoll das Geknister , das mich geweckt hatte, an zu einem ohrenbetäubenden Knattern, und das rote Licht schien mir die Augen aus dem Kopf brennen zu wollen.
    Die SCOUT blieb unerschütterlich. Unbeirrbar hielt sie ihren Kurs, und dieser zielte mitten in das Spektakel hinein. Doch obwohl ich mir völlig im Klaren darüber war, daß ich unbedingt etwas unternehmen mußte , um die sich abzeichnende Katastrophe abzuwenden, rührte ich keinen Finger.
    Ich war wie gelähmt. Noch nie war ich so ratlos gewesen.
    Ein neuer Himmel hatte den Vorhang aufgezogen, um mir Einblick zu gewähren in ein sorgsam gehütetes Geheimnis.
    Wie lange ich so dastand, gleichsam festgenagelt, vermag ich nicht zu sagen, denn selbst im Nachhinein versagt hier jedes irdische Zeitmaß. Gebannt und hypnotisiert wurde ich Zeuge, wie das Karussell nach und nach seine Umdrehungen verlangsamte und wie aus dem Federkranz glühende Lohe wurde und aus dieser schließlich zähflüssiger Brei. Und immer noch schwankte ich zwischen Faszination und gezügelter Panik. Ich fühlte, daß ich Zeuge wurde eines Vorganges, der nicht für meine Augen bestimmt war, daß ich ungewollt zu einem ungebetenen Eindringling geworden war, und das machte mir Angst.
    Ein Geräusch, das sich nicht beschreiben läßt , kam von irgendwo her, und damit war es um den Stoizismus der SCOUT geschehen. Das Schiff zuckte zusammen und fing an, taumelnde Bewegungen zu vollführen wie betrunken.
    Nun endlich ließ ich mich in den Sessel fallen, um einen armseligen Versuch zu unternehmen, das Schiff zurückzuzwingen in das alte Gleichmaß der Fortbewegung, doch was immer auch ich unternahm, blieb ohne jede Wirkung. Die Bocksprünge der SCOUT wurden von Mal zu Mal wilder und ungestümer. An Bord brach die Ordnung zusammen. Wandschränke klappten auf und verstreuten ihren Inhalt in alle Räume. Geschirr ging zu Bruch. Vor meiner Nase tanzte die Uhr an ihrer goldenen Kette absurde Pirouetten.
    Und dann lag es wohl weniger an meiner Geschicklichkeit als an äußeren Einflüssen, daß das Schiff sich wieder stabilisierte, bis ich aufatmend meinte, außer Gefahr zu sein.
    Aber noch steckten die SCOUT und ich mitten drin.
    Etwas, was sich kalt und naß anfühlte, fiel mir klatschend auf die Stirn. Ich blickte hoch und erstarrte. Der schlimmste Alarmfall, der sich nur denken ließ, war eingetreten. Vor irgendwoher kam Wasser ins Cockpit getropft, und dafür gab es eine einzige Erklärung. Das wichtigste Element an Bord, der Recycler , war nach den Bocksprüngen defekt. Und ein Ausfall des Recyclers bedeutete: Keine Nahrung, kein Trinkwasser, keine Atemluft. Und ohne diese drei Dinge war es mit der Unsterblichkeit eines Kosmonen nicht weit her.
    Ich mußte handeln, sofort. Wer konnte schon sagen, wie lange die Ruhe vorhalten würde. Der Schaden mußte behoben sein, bevor die Luft verbraucht war. Hunger und Durst ließen sich zur Not eine Weile ertragen, aber sobald der Sauerstoff ausblieb, war es mit allem vorbei.
    Das Spektakel vor dem Fenster durfte mich nicht länger ablenken. Die Reparatur des Recyclers ging allem vor.
    In der Klimakammer sah es aus wie Weltuntergang: Dichter Nebel, der aus dem Recycler quoll, verschleierte die Sicht. Die Wandschapps waren aufgesprungen, und ihr Inhalt bildete gefährliche Stolperfallen auf den Flurplatten. Und über allem lag ein Duft nach Erde.
    Ich tastete mich durch den Nebel, bis ich sie fand.
    Mitten im Chaos saß sie auf dem herausgezogenen Notsitz, und sie hatte Geistesgegenwart genug bewahrt, um sogar den Gurt anzulegen. Sie bemerkte mich und hob mir ihr aschfahles Gesicht entgegen.
    „Um Himmels willen, Mark, was ist passiert?"
    Sie benutzte meinen Vornamen, und ich wies sie nicht zurecht. Sie war heil und gesund, und das war die Hauptsache.

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