Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Stunden zu verbringen.«
»Ja, aber eigentlich wäre das polizeilich korrekt«, antworte ich, während ich gleichzeitig den Bullen in mir verfluche. Erzählt er mir das alles vielleicht absichtlich, um mich auf die Probe zu stellen? Ach was! Dass ich das überhaupt in Erwägung ziehe, ist nur Gikas und Despotopoulos zu verdanken! Ich schicke alle beide zum Teufel, um die Verantwortung von mir auf sie abzuwälzen.
Murat blickt mich an. Kann sein, dass er mich innerlich auch zum Teufel schickt, doch er lässt sich nichts anmerken. »Ich habe mit dem Arzt gesprochen«, sagt er gelassen. »Seiner Einschätzung nach hat sich der Krebs im ganzen Körper ausgebreitet. Deshalb hat er nicht darauf bestanden, sie zu untersuchen und eine Computertomographie durchzuführen. Er war der Ansicht, das würde sie nur unnötig quälen. Ganz abgesehen davon, dass man die Untersuchungen hier gar nicht durchführen könnte und sie nach Trabzon ins Krankenhaus transportieren müsste.« Er pausiert und fügt dann entschlossen hinzu: »Gehen wir, es gibt Dinge, die man sich selbst überlassen kann. In ein paar Stunden, höchstens ein paar Tagen, wird sie vor dem höchsten Richter stehen. Besser, Er spricht das Urteil.«
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie mit meinen Worten nicht beleidigen«, sage ich. »Ich wollte einfach nicht, dass Sie meinetwegen Unannehmlichkeiten bekommen. Denn was wollen Sie morgen Ihrem Vorgesetzten sagen?«
»Dasselbe wie Sie Ihrem Vorgesetzten: dass wir zu spät gekommen sind und dass sie schon tot war. Ich habe mit dem Arzt vereinbart, den Totenschein auf das heutige Datum auszustellen. Warum, glauben Sie, habe ich den Chauffeur des Streifenwagens zurückgehalten, als er mitgehen wollte?«
Wir lassen Vassiliadis bei seiner alten Kinderfrau zurück und gehen das Stück zum Streifenwagen hinunter. Nur mit Mühe und erst, als wir mit dem Auto hinunter zum Hafen kommen, gelingt es mir, Maria Chambous Bild vor meinem inneren Auge verblassen zu lassen und mir stattdessen Katerina und Fanis in Erinnerung zu rufen.
* 30
Ein letztes Mal fahren wir über die Atatürk-Brücke, und an ihrem Ende biegt das Taxi nach links ab. Da mich Maria Chambou zu Touren kreuz und quer durch Istanbul genötigt hat, kenne ich mich mittlerweile besser aus als der Durchschnittsbesucher. Und daher weiß ich, dass wir in Richtung der Küstenstraße unterwegs sind und gleich am Ägyptischen Basar vorüberfahren werden. Es ist halb acht Uhr morgens, und zum ersten Mal erblicke ich ein anderes Gesicht Istanbuls: Die Verkaufsbuden sind geschlossen und die Rollläden heruntergelassen, und von den einstöckigen Baracken, die sich aneinanderdrängen, blättert die Farbe. Auf dem Gehsteig entlang der Küstenstraße stehen - ganz wie in Thessaloniki - Salep- und Sesamkringelverkäufer.
Erst jetzt, kurz vor meiner Abreise, stelle ich fest, dass diese Stadt einen Teil ihrer Schönheit der pulsierenden Geschäftigkeit verdankt, die jeden Morgen wie eine Fieberkurve steil ansteigt und erst tief in der Nacht wieder absinkt. Diese Lebendigkeit übertüncht das Hässliche, denn im Fiebertaumel achtet man nicht darauf. Nun, da die Straßen wie leergefegt sind und weder Menschen noch Fahrzeuge die Aufmerksamkeit beanspruchen, kommt das ungeschönte Antlitz der Stadt zum Vorschein.
Sobald das Taxi zum Flughafen abbiegt, wird dieser Eindruck vom Anblick der großen Einkaufszentren, der byzantinischen Stadtmauern und des Meeres verdrängt. Ich werfe einen letzten Blick auf die Schiffe, welche die Hafeneinfahrt passieren, und auf die asiatische Seite gegenüber, während sich ein riesiger Tanker im Schritttempo durchs Bild schiebt.
Adriani blickt durch die Windschutzscheibe. Mit der linken Hand hält sie krampfhaft die Tragegriffe einer Reisetasche fest, die aus allen Nähten zu platzen droht. Ich hatte im Hotelzimmer dabei zugeschaut, wie sie sich damit abmühte, den Inhalt hineinzupressen, es jedoch vorgezogen, mich mit Kommentaren zurückzuhalten, um vor unserer Abreise aus Istanbul Streit zu vermeiden.
»Deine Unkenrufe waren ungerechtfertigt«, sage ich. »Wie du siehst, fliegen wir pünktlich ab.«
»Dank der Kerze, die ich in der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit angezündet habe, gleich nachdem du ins Pontusgebiet abgerauscht warst«, gibt sie mir kühl zurück.
»Das war eine gute Idee. Aber den Flug hätte ich - mit oder ohne Hilfe der Heiligen Dreifaltigkeit - nicht verpasst.«
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