Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
fährt er fort: »Jedes Mal wenn sie aus dienstlichen oder familiären Gründen verreist, vermisse ich Deutschland.«
»Wieso?«, frage ich verblüfft.
»Weil in Deutschland die Einsamkeit erträglicher ist. In der Türkei leben alle in Großfamilien. Überall hört man Lärm, Gespräche, Kinderweinen, kreischende Mütter. Das macht das Alleinsein schwer erträglich. In Deutschland jedoch leben sehr viele Menschen allein. Es ist tröstlich, sie ständig um sich zu haben, denn dadurch spürt man die eigene Einsamkeit weniger.«
Und so - Adriani mit ihrer Reisetasche in der Hand und ich mit dem Teppich unterm Arm - erreichen wir die Passkontrolle, wo wir erneut zum Abschied schreiten.
»You are always welcome to stay with us. We have a big flat«, sagt Nermin.
»Sag ihnen, dass auch sie bei uns in Athen willkommen sind, wann immer und so lange sie möchten«, betont Adriani ausdrücklich, als ich ihr die Einladung dolmetsche.
Es folgen neuerliche Umarmungen. Murat drückt mir einen Kuss auf die Backe. »Der ist von Nermin«, lacht er. »Sie kann Sie nicht in der Öffentlichkeit küssen, daher hat sie es mir aufgetragen.«
Auch wenn ich den Kuss nur indirekt über ihren Ehemann bekommen habe, so ist er, von einer solchen Schönheit stammend, auf jeden Fall ein Genuss. Wir winken noch ein letztes Mal, bevor wir uns zur Handgepäck-Kontrolle begeben.
»Hast du bei deiner Einladung in unsere Wohnung daran gedacht, wo wir sie unterbringen sollen?«, frage ich Adriani, während wir warten, bis wir an der Reihe sind.
»In Katerinas Zimmer. Es steht ja leer.«
Diesmal passiert die Reisetasche die Prüfung ohne jegliche Beanstandung. »Kannst du mir erklären, warum man uns am Eingang gefilzt hat, und hier winkt man uns einfach durch?«, wundert sich Adriani.
»Keine Ahnung. Eines weiß ich jedoch ganz genau: Dein ganzer Kram, der das Übergepäck verursacht, hätte uns ganz schön viel gekostet. Glücklicherweise hat Murat eingegriffen und die Sache geregelt.«
»Alles lässt sich regeln, man muss nur wollen«, wirft sie mir einen jener Sinnsprüche an den Kopf, die mich auf die Palme bringen.
Beim Start bekreuzigt sich Adriani, während ich aus dem Fenster blicke. Istanbul erstreckt sich unendlich weit, und erst das Meer gebietet den Häusern Einhalt. Ich versuche einen der Orte, die ich in den vergangenen Tagen besucht habe, wiederzuerkennen, doch von oben sieht alles gleich aus. Je mehr das Flugzeug an Höhe gewinnt, desto ferner rückt für mich schon Istanbul. Gleichzeitig denke ich, dass wir in einer Stunde und zehn Minuten Katerina und Fanis in die Arme schließen werden. Ich lehne mich zurück und mache die Augen zu.
Ob Maria wohl noch lebt?
* Danksagung
Der Schriftstellerin Alki Zei möchte ich für eine Geschichte danken, die sie mir zu einer Zeit erzählt hat, als von diesem Roman noch keine Rede war. Dem Arzt Hamet Pamuk bin ich für die wertvollen Hinweise zu Giresun und dem Schwarzmeergebiet zu Dank verpflichtet, ebenso wie dem Schauspieler Ieroklis Michailidis für seinen Beitrag zum zweitletzten Kapitel des Romans. Abschließend danke ich dem Schriftsteller Stamatis E. Dagdelenis, dessen Nachnamen ich im Roman verwenden durfte.
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