Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
sowieso denselben Anzug.«
Zu ihrer Starrköpfigkeit kam leider auch noch die falsche Einschätzung der Lage hinzu. Denn Fanis' Eltern waren mordsmäßig wütend, dass die Hochzeit nicht in der Kirche stattfinden sollte, und selbstverständlich gaben sie Katerina die Schuld daran. Ich weiß nicht, ob Fanis die standesamtliche Heirat als Katerinas Wunsch dargestellt hatte, doch selbst im gegenteiligen Fall waren Prodromos und Sevasti der Meinung, Katerina hätte auf einer kirchlichen Zeremonie im Brautkleid bestehen müssen.
So geriet die standesamtliche Trauung zu einem Trauerspiel - wir waren verbittert und todunglücklich, Fanis' Eltern machten lange Gesichter, und Katerina hatte immer noch nicht realisiert, wohin ihre Beharrlichkeit geführt hatte, und wusste nicht, was sie machen sollte. Am Ende der Zeremonie berührten Prodromos und Sevasti Katerinas Wange gerade mal so lang, dass die Illusion eines Kusses entstand. Genauso unterkühlt verhielten sie sich uns gegenüber. Nur mit Mühe und fast widerwillig brachten sie die Glückwünsche über die Lippen. Offenbar sahen sie auch uns in der Verantwortung, da wir unserer Tochter nicht beigebracht hatten, bestimmte Grundsätze und Traditionen zu respektieren. Vielleicht wunderten sie sich sogar darüber, wie ich als Polizeibeamter meine Tochter so prinzipien- und disziplinlos erziehen konnte. Katerina war zum schwarzen Schaf gestempelt und wir zu schlechten Hirten.
Mir war das im Grunde herzlich egal, und auch die langen Gesichter der Schwiegereltern kratzten mich nicht, doch Adriani war verletzt. Als hätte die Enttäuschung über die standesamtliche Trauung nicht gereicht, kam nun die beleidigte Haltung der Schwiegereltern hinzu und verdarb ihr völlig die Laune. Sie aß nicht, sprach nicht, rief Katerina nicht an, und wenn ihre Tochter anrief, ließ sie sich verleugnen. So durchlebten wir nach der Hochzeit eine Zeit tiefer Melancholie.
Da erinnerte ich mich daran, was Katerina über Istanbul gesagt hatte. Die Hochzeit hatte zwar nicht dort stattgefunden, doch Adriani und ich konnten ja zusammen eine Städtereise unternehmen, um etwas Distanz vom Krisenherd zu gewinnen. Als ich Adriani den Vorschlag machte, fürchtete ich, sie würde bockig reagieren und ablehnen, doch sie blickte mich nur an und flüsterte, als könne sie gar nicht daran glauben: »Meinst du, das täte uns gut?«
Es war nicht schwer, sie davon zu überzeugen. Nur die Anreise mit dem Mirafiori kam für sie nicht in Frage.
»Dann bleibe ich lieber hier«, erklärte sie kategorisch. »Mir reicht es, dass ich auf der Hochzeit meiner Tochter im Regen stehen musste. Noch einmal halte ich so etwas nicht aus. Und deine Rostlaube gibt unterwegs garantiert den Geist auf.«
Und so fanden wir uns in einem Reisebus wieder, um die Sehenswürdigkeiten Istanbuls zu bewundern: am ersten Tag das Chora-Kloster, am zweiten die Blaue Moschee und das byzantinische Aquädukt, und heute die Hagia Sophia.
Wir befinden uns gerade auf dem Rückweg von der Hagia Sophia, als ich die Ereignisse Revue passieren lasse. Ich blicke aus dem Busfenster, während die Fremdenführerin erläutert, dass die Brücke, die wir gerade überqueren, nach Atatürk benannt und - nach der Galata-Brücke -die zweite über das Goldene Horn sei, welche die Teile Istanbuls verbinde.
Adriani sitzt in den hinteren Reihen mit Frau Mouratoglou, der sympathischsten Person der ganzen Reisegruppe. Sie stammt aus Istanbul, doch ihre Familie war gleich nach den Ausschreitungen gegen die griechische Minderheit im September 1955 fortgezogen und lebt seit damals in Athen. Alle zwei Jahre unternimmt sie jedoch eine Reise nach Istanbul und kehrt als »Wallfahrerin« in »heimatliche Gefilde« zurück. »Andere unternehmen eine Wallfahrt nach Jerusalem, wieder andere nach Mekka, ich nach Konstantinopel«, meint sie lachend.
Adriani mag sie sehr und verbringt viel Zeit mit ihr, mit der Begründung: »Frau Mouratoglou hat Niveau. Das merkt man an der Kleidung, an ihrem Benehmen, einfach an allem.« Seit unserer Ankunft in Istanbul leidet Adriani an Stimmungsschwankungen, doch es gelingt ihr, vor allem während der Führungen, ihre Sorgen zu vergessen und sich von den Sehenswürdigkeiten bezaubern zu lassen. Doch sobald wir allein im Hotelzimmer sind, kehrt ihre Niedergeschlagenheit zurück. Zugleich überkommt sie die Angst, dadurch auch mir die Stimmung zu verderben. Daher liegt ihr daran, ständig draußen
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