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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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erneut.
    Dieses Mal machte es Klick. Charlie schüttelte die Hand seines Vaters ab und setzte sich in Bewegung.
    »Bis nachher«, flüsterte ich ihm nach und widerstand der Regung, ihn an den Rinderwahnsinn zu erinnern.
    Aber der Rinderwahnsinn sollte das geringste seiner Probleme sein.

4
 
    I m Herbst war die Fahrt durch die Landschaft zauberhaft. Ich hatte nie richtig wahrgenommen, aus wie vielen Farben ein Baum besteht oder auch schon ein Blatt - aus wie vielen verschiedenen Grün-, Rot-, Orange- und Brauntönen. Anders als die Einheimischen, die in ihren Geländewagen durchs Tal rasten, fuhr ich ganz langsam über die Sträßchen aus Angst, dass ein Hirsch, ein Kaninchen oder sogar ein Keiler vor mir auf die Fahrbahn springen könnte, bevor ich bremsen konnte. Am meisten fürchtete ich mich vor den Wildschweinen. »Die können ihren Wagen ganz schön demolieren«, hatte unser Nachbar, der alte Monsieur Martin, gewarnt.
    Und was können sie einem tun, wenn man zu Fuß unterwegs ist?, überlegte ich.
    Wenn man am Lot entlang südwärts fährt, von Charlies Schule aus noch einmal dreißig Kilometer weiter, gelangt man nach Cahors. Dort bildet der Fluss eine Schleife. Alle Kinder aus den umliegenden Dörfern landen da in den weiterführenden Schulen - wie die Fische, die im Fluss gefangen werden. Wer später studieren möchte, wählt das Lycée Général im Zentrum von Cahors. Wer an Technik interessiert ist, entscheidet sich für das Lycée Technique am Stadtrand, in der zone industrielle, dem Industriegebiet, mit einem Mischmasch aus kastenförmigen Gebäuden und sozialem Wohnungsbau.
    Dort ergatterte ich einige Wochen nach Beginn des neuen Schuljahrs einen Job als Englischlehrerin.
    Obwohl der Direktor mich gewarnt hatte, dass meine Schüler sich mehr für Automotoren als für Grammatik interessieren würden, startete ich am ersten Tag voller Enthusiasmus. Als es zur ersten Stunde läutete, ging ich über den Schulhof. Ich wanderte zwischen verstreut stehenden Grüppchen hindurch, von denen wie in einer Szene aus einem Italowestern Rauchwolken aufstiegen - eine weite Prärie mit rauchenden Teenagern. Wo war ich hier gelandet?
    Aber als ich mich durch den Flur drängte, vorbei an langbeinigen Jugendlichen mit strähnigen Haaren, die zusammengesackt an den Wänden lehnten, und über die Berge von Taschen stieg, die sie überall abgeworfen hatten, stellte ich mir vor, ich wäre die australische Doppelgängerin von Sydney Poitier in dem Film Junge Dornen, in dem er mit Londoner Vorstadtkindern arbeitet. Doch, ich würde es anders machen. Ich konnte ihnen Geschichten erzählen, die sie mit Sicherheit faszinieren würden, Geschichten über Australien, die nicht in ihren langweiligen Schulbüchern standen und über die sie ihre Autos vergessen würden.
    Jeden Morgen setzte ich nun Charlie an seiner Schule ab und fuhr dann weiter zu meiner, in der Aktentasche einen Stapel Artikel aus der Onlineausgabe des Sydney Morning Herald - die schaurigsten, blutigsten und makabersten, die ich finden konnte. Seit wir Australien verlassen hatten, war es anscheinend zu einem Kontinent der verheerenden Katastrophen mutiert, zu einer endlosen Wüste, durch die man tagelang fahren konnte, ohne einer lebenden Seele zu begegnen (und Gnade dir Gott, wenn dir der Sprit ausgeht!), zu einer Insel, die von mörderischen Haien umzingelt war, mit Flüssen, die von unzähligen Krokodilen verseucht waren. Nicht zu vergessen, dass es dort von riesigen, behaarten Jägern wimmelte, von Schwarzen Witwen und Funnel-Web- Spinnen , Atrax robustus, die in Sydney jedes Kind kennt, weil ihr Biss lebensgefährlich sein kann. Fettig braune Kakerlaken, dick wie ein Daumen und lang wie ein Zeigefinger, flogen durch die Luft, und die glitschigen Rotbauchschwarzottern konnten sich unterm Kopfkissen hervorschlängeln und einen totbeißen, bevor man auch nur die Chance hatte, nach seinem Gewehr zu greifen ... Ich war natürlich immer ein Stadtmensch gewesen, aber das brauchten die Schüler ja nicht zu erfahren.
    Ich liebte die Fahrten zur Schule, wenn Charlie neben mir auf dem Beifahrersitz saß.
    »Sag mir, wenn du etwas auf der Straße siehst, Charlie.«
    »Pass auf, Mummy!«, kreischte er dann und zeigte nach vorn. »Da sitzt ein Frosch!«
    »Das ist nicht witzig, Charlie.«
    Trotzdem fuhr ich einen Schlenker um den winzigen Buckel auf der Straße, denn ich wollte ein Leben retten und Charlie zum Lachen bringen, wollte das glucksende Kichern hören, das aus

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