Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
hinauf und darüber hinweg, über die schattige Ebene, wo die Kiefern Zapfen abwerfen, und weiter. Es war ein schöner Frühlingstag, September in Australien. ich war immer weiter marschiert, wollte das Baby mit purer Willenskraft zum Kommen zwingen, um es hinter mich zu bringen. Als ich am Abend im Bett lag, erschöpft und meiner selbst überdrüssig, mit hochgelegten Füßen und aufgequollen wie ein riesiger Goldfisch, fragte ich mich, ob es überhaupt jemals kommen würde. ich beschimpfte es. Warum willst du denn nicht rauskommen, verdammt noch mal?
Und dann, endlich, um Mitternacht, in der allerletzten Minute, rührte Charlie sich. Als ich schon aufgegeben hatte und weggedriftet war, machte er sich unversehens bemerkbar - diese wundervolle Unberechenbarkeit besaß er selbst damals schon.
Und nun geht es los, als ich am wenigsten damit rechne, obwohl das Baby schon zehn Tage überfällig ist. Ich habe den zweiten Anstrich erst halb fertig. Hier ist es vier Uhr nachmittags, Mitternacht in Sydney.
»Mitternacht, sagst du?« Mit einem Lächeln zieht Marc eine Augenbraue hoch. »Vielleicht ...«
»Quatsch! Reiner Zufall«, knurre ich, während er sich durch den Feierabendverkehr schlängelt, hupt, auf das Lenkrad schlägt - der typische Franzose. »Psychosomatisch«, erkläre ich. »Der Geist regiert die Materie, die Vergangenheit reguliert meinen Hormonhaushalt. Der Zeitpunkt hat mit diesem Baby gar nichts zu tun, es gibt keinen Zusammenhang mit Charlie, mit meinem Charlie.«
Ich liege auf der Entbindungsstation in den ersten Wehen. Aber ich denke immer noch an ihn, an seinen ersten Schrei, an seine Schultern, die mich zerrissen, als er sich den Weg in die Welt erzwang. »Das sind Marcs Schultern«, hatte ich damals geschimpft, hatte sie beide verflucht, den Vater und sein Kind.
Ich atme langsam, spüre den Schmerz, den unerträglichen Schmerz, den meine Gedanken auslösen.
Ich werde dieses Baby nicht lieben.
»Quoi?« Marcs Gesicht schwebt über meinem, besorgt. »Was hast du da gesagt, Annie?«
Mir wird bewusst, dass ich es laut ausgesprochen habe: Ich werde dieses Baby nicht lieben - Worte voller Angst und Wut.
Der Schmerz über diesen Satz überfällt mich, während gleichzeitig eine weitere Wehe durch meinen Körper schießt, wie ein Blitz, der mich spaltet. Ich habe diese harten Worte schon einmal gehört, habe sie im Gesicht meiner Mutter geschrieben gesehen.
Sie fragen mich, ob ich eine Epiduralnarkose will. Ja, gebt mir irgendwas, was, ist mir egal. Den Schmerz, den eigentlichen Schmerz, wird es ohnehin nicht betäuben.
Bei Charlies Geburt war ich entschlossen, es ohne Hilfe zu schaffen. »Keine Medikamente, gar nichts«, hatte ich durch zusammengebissene Zähne geknurrt. Ich hatte sie alle verflucht, Marc, meine Mutter, weil sie mir nichts von diesem gottverdammten, widernatürlichen Schmerz gesagt hatten, den ich nur wegen meines blödsinnigen Stolzes aushalten konnte.
Jetzt aber werde ich jede Art von Hilfe annehmen, die ich kriegen kann. Es spielt keine Rolle.
»Es ist nicht mein Erstes, Mummy, habe ich zu ihr gesagt. Das ist nicht mein erstes Baby, nicht meine erste Liebe!
Sei stark, Annie! Du wirst dein Baby lieben.
Nein, Mummy! Ich kann Charlie nicht vergessen!
Meinen Charlie!
Alles andere ist Vergangenheit, Annie.
Aber das stimmt nicht. Er ist immer bei mir. Er ist meine Gegenwart - jeder Augenblick meines Lebens.
Es ist vorbei, endlich, in den frühen Morgenstunden - um drei. Ich erinnere mich, dass Charlie um elf Uhr vormittags geboren wurde. »Wir gratulieren«, hatten sie um Punkt elf gesagt. »Sie haben einen schönen Jungen.«
Marc lächelt. »In Sydney ist es jetzt elf Uhr vormittags.«
Als Antwort schließe ich die Augen und schüttele den Kopf. Tränen stehlen sich aus meinen Augenwinkeln, laufen mir über die Wangen. Nein, jetzt ist es drei Uhr früh, und damit Schluss.
Ich bin zu müde, um hinzuschauen, um zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Es ist mir egal. Ich will nur schlafen, aufwachen und ihn wiederfinden, meinen Charlie. Marc kommt zu mir. Er hält das fremde, in eine Krankenhausdecke gewickelte Bündel auf dem Arm. Als er sich über mich beugt, schließe ich wieder die Augen. Ich will nicht hinsehen.
Ich spüre, wie es auf meiner Brust liegt, dieses Gewicht, dieses unglaubliche Gewicht. Marc hat meine Hand genommen und zwingt mich, die Faust zu öffnen. Aber ich werde es nicht anfassen.
Ich höre, wie er mir ins Ohr flüstert: »Annie, s'il
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