Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
Polizisten draußen im Wagen hätten ihn gesehen.«
»Nicht, wenn er ein Stück weiter die Straße hoch oder um die Ecke geparkt hat. Er könnte in seinem Auto gewartet haben. Er könnte gesehen haben, wie David aus der Garage fuhr. Er könnte ihnen gefolgt sein«, fuhr sie fort. »Warum haben Sie mich nicht gleich angerufen, als Sie festgestellt haben, dass Dempsey verschwunden ist?«
»Damit Sie eine halbe Stunde früher hätten hysterisch werden können? Was hätte das genutzt?«, fragte Kovac. »Ich habe alle Einheiten in dieser Gegend sofort informiert. Es gibt nichts, was Sie tun könnten, was wir nicht schon längst getan haben«, fuhr er ruhig fort. »Ich wollte Sie über diese neue Entwicklung nur nicht am Telefon informieren.«
Careys Wut war von einer Sekunde auf die andere wie weggeblasen. Sie hatte auch gar nicht die Kraft, sie am Leben zu halten. Die Sorge und die Angst kosteten sie alles an Kraft, was sie noch hatte.
»Ich will meine Tochter wiederhaben«, flüsterte sie. »Ich muss meine Tochter finden. Ich muss David finden. Warum kann er nicht dieses eine Mal da sein, wenn ich ihn brauche?«
Ihre Stimme brach, und sie hustete, um ein erneutes Schluchzen zu unterdrücken.
Kovac legte einen Arm um ihre Schultern. »Kommen Sie«, sagte er leise. »Setzen Sie sich erst einmal hin. Wir werden Ihre Tochter finden.«
»Das kann alles gar nicht sein«, sagte Carey mit erstickter Stimme. Einen kurzen Moment lang lehnte sie sich an ihn, sie brauchte das Gefühl, von jemandem gehalten zu werden, der stärker war als sie. Er roch nach Sandelholzseife. Und in seiner Jacke hing ein schwacher Geruch nach Zigarettenrauch.
»Es tut mir leid«, sagte sie verlegen, als sich ihre Blicke trafen, und sie wich einen Schritt zurück. »Es tut mir leid.«
»Machen Sie sich keine Gedanken«, sagte Kovac, während er sie zum Tisch führte. »Sie sind auch nur ein Mensch. Aber keine Sorge, ich werde es niemandem verraten.«
17
Dahl überlegte, dass sich in dem Viertel, in das er unterwegs war, wahrscheinlich keine Obdachlosen herumtrieben. Es war ein sonniger, warmer Herbsttag, warm genug jedenfalls, um den Mantel des toten Penners auszuziehen und in den Müllcontainer hinter einer geschlossenen Druckerei zu schmeißen. Die verfilzten Haare und die Strickmütze behielt er auf dem Kopf, auch wenn es ihn darunter schrecklich juckte, auch wenn es kaum noch auszuhalten war. Er vermutete, dass die Klamotten des Penners voller Läuse waren.
Er hatte Sehnsucht nach einer Dusche und brauchte dringend eine Rasur. Er meinte fast spüren zu können, wie die Haare auf seiner Brust und im Schritt durch die Haut stießen. Allein der Gedanke daran verursachte ihm Juckreiz am ganzen Körper.
Wohlgefällig betrachtete Dahl sein Spiegelbild in dem vergitterten rückwärtigen Fenster der Druckerei. Er war verhältnismäßig klein, so dass die Hose des Alten um seine Beine schlotterte. Wenn er eine Frau gewesen wäre, hätte man ihn als zierlich bezeichnet. Für Männer gab es kein entsprechendes Wort, zumindest kannte er keines.
Er steckte die Hände in die Hosentaschen, ging ein wenig in die Knie und ließ die Schultern hängen. Das sah gut aus, locker, so als habe er alle Zeit der Welt. Kein Mensch würde glauben, dass er auf der Flucht war, wenn er in dieser Haltung die Straße entlangschlenderte.
Dahl machte sich noch einmal über den Einkaufswagen des Penners her und fand mehrere Sonnenbrillen, von denen einige zerkratzt oder sonstwie beschädigt waren, andere aber heil. Er probierte sie durch, bis er eine fand, die ihm gut auf der Nase saß. So konnte er seine blutunterlaufenen Augen verbergen, die den Leuten bestimmt auffallen und an die sie sich erinnern würden.
Er musterte sich erneut im Fenster, sein Anblick gefiel ihm. Aber er war noch immer nicht völlig zufrieden. Sein Mund sah unverändert aus, genauso wie seine Wangenpartie, und die meisten Leute achteten genau auf diesen Teil des Gesichts, wenn sie einen anblickten. Und garantiert hatte jeder Einwohner von Minneapolis heute sein Bild im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen.
Die Bartstoppeln ließen ihn schon ein wenig anders aussehen, aber das reichte noch nicht. Da waren die Verletzungen vom Abend zuvor. Er fasste sich in den Mund und holte die Brücke heraus, so dass sein Lächeln jetzt von einigen schwarzen Löchern begleitet wurde. Besser, aber immer noch nicht genug.
Er kramte im Einkaufswagen, um zu sehen, ob sich nicht doch noch etwas Brauchbares darin
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