Kramp, Ralf (Hrsg)
Verkaufsräumen, frische Luft schnappen, dann würde sie bestimmt nachher über alles lachen können. Als sie vom Parkplatz auf die Steinbockstraße einbog, klingelte ihr Handy. Auf dem Display stand der Name ihres Bruders. Diesmal nahm sie das Gespräch an.
»Hallo Tinachen«, grüßte er. »Willst du immer noch zurück ins Schwabenländle?«
»Weißt du doch«, antwortete Tina gereizt. »Wenn ich genug Geld hätte, würde mich selbst der Job nicht hier halten.«
»Ich denke, wir sollten Nägel mit Köpfen machen«, sagte er. »Hab da eine Idee.«
Wie angewurzelt blieb Tina stehen. Oh nein, nicht schon wieder. Ärger stieg in ihr hoch. »Deine Bewährung …«
»Hör’s dir zumindest mal an«, unterbrach er sie.
Tina seufzte. Sie konnte ihn hinterher immer noch bremsen. »Okay. Auch wenn ich nicht weiß, was ich damit zu schaffen habe. Leg los.«
»Also, pass auf, was mir passiert ist.«
Mit wachsendem Interesse hörte Tina zu.
Am nächsten Morgen erwartete Hermann sie schon aufgeregt auf dem Parkplatz. Männer in weißen Schutzanzügen wuselten herum und ein blau-weißer Polizeiwagen parkte direkt vor der Tür.
»Tina«, rief er. »Endlich!«
»Was ist denn hier los?«, fragte sie und wies auf die Männer. »Bricht bald einer der Eifeler Vulkane aus?« Sie kicherte und dachte an
Volcano
mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle.
Am Oberarm zog Hermann sie zum Eingang. »Der Kommissar will dich sprechen.«
Ein Mann in den Vierzigern lehnte am Tresen und rauchte seelenruhig eine Zigarette.
»Hier, Herr Bohleber, hier ist meine Mitarbeiterin. Sie hat gestern die drei Typen bedient.« Hermann hieb sich ärgerlich mit der Faust in die Hand. »Ich hätte auf dich hören sollen, Tina.«
Sie nickte dem Kommissar zu, der sie an Mel Gibson erinnerte, und sah sich um. Der Verkaufsraum wirkte ohne Instrumente trist. Die Gitarren fehlten, wie auch die Blasund Streichinstrumente, die Keyboards, einige Schlagzeuge, Verstärker und die teuren Mikrofone. Nur die Klaviere und Flügel standen noch unangetastet im hintersten Raum. Zu schwer, dachte sie. Auch hier drinnen wuselten Leute in weißen Schutzanzügen herum. Sie pinselten Fenster ein, krochen suchend über den Boden und fotografierten.
»Und die Alarmanlage?«, fragte Tina.
»Abgeschaltet!« Hermann schloss die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. »Abgeschaltet. Die kannten sich aus.«
Der Kommissar drückte sich vom Tresen ab. »Erzählen Sie mir bitte von Ihrer gestrigen Begegnung.«
Tina nickte und holte Luft, wurde aber von einem lauten Handyklingeln unterbrochen. Titelmusik von
Armageddon
, erkannte Tina sofort, Bruce Willis in der Hauptrolle.
Der Kommissar nahm das Gespräch an und entfernte sich ein paar Schritte von ihnen.
»Oh Gott, oh Gott«, jammerte Hermann neben ihr. Er war den Tränen nahe.
Bevor sie ihn trösten konnte, kam Bohleber zurück. »Frau Fazli, darf ich Sie einen Moment entführen?«
Sie schaute Hermann fragend an. Der bestätigte mit einem Nicken.
»Wir haben einen anonymen Tipp erhalten«, informierte Bohleber sie, während sie in seinen Dienstwagen einstiegen.
»Die Kollegen sind schon vor Ort und haben drei Männer festgenommen.« Bohleber gab Gas.
»Wo?«
»In Rengen in einem alten Schuppen. Bitte schauen Sie sich die Leute mal an.«
Eine Stunde später setzte Bohleber sie wieder am
Musikhaus Müller
ab.
Ein immer noch aufgeregter Hermann kam ihr entgegen. »Und? Was war los?«
»Sie haben die Drei«, sagte Tina. »Ich konnte die Glatzköpfe durchs Fernglas glasklar identifizieren.«
Hermann atmete erleichtert aus. »Dann ist ja alles gut.«
»Nicht ganz. Das Diebesgut, also unsere … äh … deine Instrumente waren nicht da.«
Hermann zuckte zusammen und schwankte. »Was soll das heißen? Nicht da?«
»Der Kommissar vermutet, dass sie einen Direktabnehmer hatten, den sie in der Nacht sofort beliefert haben.
Just in time
. Sie überprüfen das jetzt.«
Hermann raufte sich die Haare. »Das kann ja noch ewig dauern. Wenn die Versicherung nicht schnell zahlt, kann ich dichtmachen.«
Tina setzte eine traurige Miene auf. »Das tut mir leid. Du, Hermann?« Sie wartete, bis sie seiner Aufmerksamkeit sicher war. »Ich möchte kündigen. Das war zu viel für mich, ich kann nicht mehr.« Sie senkte den Kopf und drückte eine Träne heraus.
Hermann nahm sie in den Arm. »Nicht weinen. Wird schon wieder. Warte doch erstmal ab. Ich brauche dich doch hier. Es bricht nicht jeden Tag jemand ein.« Er lachte unsicher.
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