Kramp, Ralf (Hrsg)
»Kündigung, also wirklich.«
»Es ist mir ernst. Ist ja nicht nur das hier.« Sie deutete mit der Hand auf die geleerte Halle. »Das Heimweh frisst mich auf.«
Sein Gesicht verfinsterte sich sekundenlang, hellte sich dann aber wieder auf. »Pass auf, wir machen es anders. Du nimmst dir drei Wochen frei. Lass die Seele baumeln, erhol dich von dem Schock. Und dann entscheidest du. Okay?«
Tina hatte Hermanns Reaktion erwartet und willigte ein.
Erleichtert atmete Tina aus, als sie in den Transporter ihres Bruders stieg, den er üblicherweise für Kurierfahrten nutzte.
Sie war nach der Verabschiedung zu Fuß den Dachsweg runtergegangen und hatte die B257 gequert. Treffpunkt war die kleine Straße Im Fuchsbau gewesen.
Ihr Bruder steuerte den Transporter aus Pützborn in Richtung Autobahn hinaus. »Und? Alles klar? Mein anonymer Tipp angekommen?« Er schielte zu ihr rüber.
»Bestens. Die Polizei verdächtigt deine Kumpels. Die sind erstmal beschäftigt. Bis die merken, dass sie auf einer falschen Spur sind, haben wir alles gut versteckt.« Tina lachte. »Dass du der vierte Mann der Bande bist, darüber komme ich noch nicht weg. Was für ein Zufall. Und die wollten tatsächlich kommende Nacht einsteigen?«
»Yes«, bestätigte er.
Aus dem Laderaum drang ein tiefes Donnern.
Tina schreckte zusammen. »Die Pauke? Hast du nicht alles gesichert?«
Ihr Bruder lächelte. »Hinterachse. Die trommelt manchmal.« Er zwinkerte ihr zu. »Alles
safe
, mach dir keine Sorgen. Was meinst du? Wieviel haben wir erbeutet?«
Tina wiegte den Kopf, ließ die vergangene Nacht Revue passieren. Sie hatten den Transporter auf der Rückseite des Musikhauses zwischen den Schuttcontainern versteckt. Glücklicher Zufall, dass das angrenzende Einrichtungshaus gerade renoviert wurde. Von der Straße konnte er so nicht gesehen werden. Zwei Stunden lang hatten sie anschließend die Instrumente bis unter die Decke des Laderaums gestapelt. »Schätze, zweihunderttausend werden da zusammenkommen.«
Ihr Bruder pfiff durch die Zähne. »Reicht für den Anfang. Meine Schulden bin ich damit los, und ich kann mich wieder gefahrlos sehen lassen.«
Tina spürte etwas in ihrer Hosentasche. »Ach je, jetzt habe ich den Schlüsselbund mitgenommen.« Sie zog ihn hervor und hielt ihn unschlüssig in der Hand.
»Vom Musikhaus?«
Sie nickte.
»Mit dem Schlüssel für die Alarmanlage?«
Sie nickte erneut. »Hermann hat nur zwei Mitarbeiter ins Vertrauen gezogen. Er wird die Schlüssel vermissen.«
Ihr Bruder lächelte süffisant. »Er hat offensichtlich keine gesunde Menschenkenntnis. Schick sie ihm zu. Im Moment wird er sie ja kaum benötigen, ha, ha.«
Tina überkam kurz ein schlechtes Gewissen. Sie hatte Hermanns Vertrauen schamlos ausgenutzt. Sofort wischte sie den Gedanken beiseite. Die Versicherung würde den Schaden tragen, und sie würde endlich ihre Heimat wiedersehen.
Ocean’s Eleven
in Daun, dachte sie. Sie hatte Hermann hintergangen, wie Julia Roberts im Film den Spielkasinobesitzer.
Zufrieden sah sie aus dem Fenster und winkte der Eifel einen letzten Abschiedsgruß zu.
Schlechte Gewohnheiten
VON A NDREA R EVERS
Wissen Sie, eigentlich geht es mir ja gar nicht so schlecht. Aber manchmal muss ich einfach mit jemandem reden. So viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, und die kann ich dann einfach nicht für mich behalten. Das hat früher schon meinen Mann immer aufgeregt, vor allem morgens beim Frühstück. Der wollte nur in Ruhe seine Zeitung lesen. Aber mir ist da nachts so viel durch den Kopf gegangen, dass ich das unbedingt loswerden musste. Manchmal wurde er fuchsteufelswild – einmal hat er sogar eine volle Kaffeetasse nach mir geworfen. Dafür habe ich ihm die Tageszeitung beim Lesen angezündet. Ich wusste ja nicht, wie schnell sich so ein Feuer ausbreitet. Er hatte so einen fiesen Polyestertrainingsanzug an – noch aus den Sechzigern. Der stand sofort lichterloh in Flammen. Und der ganze Rauch … Ich konnte gerade noch raus aus dem Zimmer. Das Haus ist komplett abgebrannt. Ich bin dann zu unserer Tochter in die Eifel gezogen. Der Feuerwehr habe ich erzählt, dass er mit der Zeitung an die Osterkerze gekommen ist und alles ganz schnell ging. Sie haben mir geglaubt, und die Versicherung hat auch ziemlich schnell bezahlt. Ich wusste gar nicht, dass er diese Lebensversicherung hatte. Wahrscheinlich hat er mir nie so recht getraut. Er hat mir auch nicht geglaubt, dass die Nachbarin die Treppe runtergefallen ist, während ich die
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