Kratzer im Lack
dass er Hunde nicht mag. Sie nimmt es ihm nicht übel, sie mag Hunde auch nicht. Laut und aufdringlich sind sie. Auch Wastl. Aber er gehört ihr nun mal, ein Geschenk von Gerda ist er. Neun Jahre ist das jetzt schon her, dass Gerda ihn gebracht hat.
»Gegen die Einsamkeit, Mutter.«
Und Frau Kronawitter hat das Hundebaby genommen und es versorgt. Sie hat es so versorgt, wie sie es früher mit ihren Kindern gemacht hat, freundlich und zuverlässig und gerührt von der Hilflosigkeit. Aber eigentlich hat sie nie einen Hund haben wollen. Auf dem Land wäre das was anderes, die Tiere auf dem Land sind wichtig. Milch, Eier und Fleisch brauchte man und sogar ein Hund ist dort zu etwas nutze. Aber hier in der Stadt sind Tiere so überflüssig. Sie machen nur Arbeit.
Herbert geht vor ihr die Treppe hinauf, mit langsamen, schleppenden Schritten, die rechte Hand schiebt er am Geländer hoch und zieht dann seinen Körper nach. Sein Anorak ist zu groß, denkt sie, auf Zuwachs gekauft, aber das sieht komisch aus, wenn ein Kind so dünn ist. Er geht auch nicht wie ein Junge. Da war mein Ludwig schon ein ganz anderer Kerl. Ein Draufgänger war er, mein Ludwig. Ein Gipfelstürmer.
»Du weißt nicht, wie das ist, wenn du auf einem Berg stehst, ganz oben, und um dich herum ist der Himmel, und unter dir, weit unter dir, sind die Menschen. Du siehst sie nicht mehr, so weit sind sie weg. Und manchmal sind sogar die Wolken unter dir, weiße Wattewolken, die zwischen den Bergen treiben und die Erde verdecken. Mutter, du weißt wirklich nicht, wie das ist, so ganz weit oben.« Das hat er gesagt, eine Woche vorher. An einem Samstagabend hat er das gesagt, das wird sie nie vergessen. Und am Sonntag drauf ist er weggefahren, mit Rucksack, Pickel und Seil. Vier junge Männer sind weggefahren, vier fröhliche, erwartungsvolle Gipfelstürmer. Drei sind zurückgekommen, zwei Tage später.
Sie muss sich an den Küchentisch setzen, weil ihre Beine zittern. Sie darf nicht an Ludwig denken, sie darf einfach nicht. Wenn, dann höchstens abends, wenn sie im Bett liegt und mit offenen Augen an die Decke starrt und auf den Schlaf wartet. Nur dann darf sie an Ludwig denken. An Ludwig und Theo. Nein, an Ludwig oder Theo.
Langsam lässt das Zittern in ihren Beinen nach, sie kann wieder aufstehen. Sie nimmt das Hackfleisch aus dem Kühlschrank und wickelt es aus dem Papier. Die klebrig angetrockneten Reste schabt sie mit dem Messerrücken ab und wirft sie hinunter zu Wastl, der aufmerksam neben ihr sitzt und die Schnauze schnüffelnd in den Fleischgeruch hält.
»Ach, Wastl.«
Sie schlägt ein Ei auf, in einer Tasse, und erst als sie sich davon überzeugt hat, dass das Ei noch gut ist, dass der Dotter gleichmäßig gelb und klar vom Eiweiß abgetrennt ist, kippt sie das Ei über das Fleisch. Sie hat immer Angst davor, ein verdorbenes Ei zu erwischen. Einmal ist ihr das passiert, einmal hat sie in ein gekochtes Ei gebissen, hat nicht aufgepasst, und als sie den Gestank und den fauligen Geschmack wahrgenommen hat, hatte sie das abgebissene Stück schon hinuntergeschluckt. Sie hat noch Wochen danach brechen müssen, wenn sie daran gedacht hat. Das ist jetzt schon so lange her, aber bei jedem Ei fällt es ihr wieder ein. Sogar in der schlechten Zeit hat sie es nicht über sich gebracht, ein Ei zu essen, das nicht mehr hundertprozentig in Ordnung war.
Während sie das Fett in der Pfanne erhitzt, manscht sie Fleisch, Ei, Semmelbrösel und Salz zusammen. Der Fleischbrei quillt zwischen ihren Fingern durch. Sie kann nicht mehr richtig zupacken mit diesen Händen, kraftlos sind sie geworden und mäkelig. Früher war das ganz anders.
Als Kind, als sie noch Hannerl Zirngiebel hieß, war sie manchmal bei den Großeltern auf dem Land, und das Schönste dort war ein Brunnen, der mitten auf dem Hof gestanden hat, ein Brunnen mit einer Pumpe. Man musste den schweren Holzschwengel bewegen, immer auf und ab, das Holz hat gequietscht und geknarrt dabei, bis das Wasser aus dem verrosteten Rohr kam. Um den Brunnen herum war der Boden immer nass, und für Hannerl war es das Allerschönste, barfuß im Hof herumzulaufen. Sie hat gelacht, wenn ihr der Matsch zwischen den Zehen durchgequollen ist. Sie hat mit den Händen in den Schlamm hineingelangt und ihn dann auf das Mäuerchen am Misthaufen tröpfeln lassen. Schlammhaufen, die in der Sonne zu seltsamen, hellgrau glitzernden Türmen getrocknet sind.
Frau Kronawitter lacht. Komisch, je älter sie wird, umso mehr
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