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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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ausstehen kann? Sie weiß doch, dass der Vater mich zwingt, den Teller leer zu essen. Warum hält sie nie zu mir? Herbert kickt mit dem Fuß eine Blechdose gegen die Mauer. Es scheppert laut. Herbert erschrickt und rennt ins Haus zurück.
    Der kleine Flur, der vom Hinterhof zur Treppe führt, ist fensterlos und dunkel. Man muss vorsichtig gehen. Immer lehnen Fahrräder an der Wand und die Frau Hartmann stellt ihren Kinderwagen da ab.
    Von jedem Treppenabsatz gehen zwei Wohnungen ab. Im Erdgeschoss Leinauer und Sedlmeyer, dann hoch in den ersten Stock, links Hartmann, die haben zwei kleine Kinder, rotznäsige Schreihälse, rechts Schwab, neun Stufen hoch, auf der Rückseite der fünften das Schild mit der Schnörkelschrift: Vorsicht, frisch gewachst. Es wird aber nie gewachst. Alle vierzehn Tage ist die Mutter dran mit Treppenputzen, vom zweiten in den dritten Stock. Nach der neunten Stufe macht die Treppe eine Biegung, auf dem Absatz steht ein magerer Gummibaum auf einem Hocker. Er bekommt nicht genug Licht, das Fenster ist klein und sehr weit oben, fast unter der Decke. Dann wieder neun Stufen, links Kronawitter, das ist die Alte mit dem Süßigkeitengeschäft, rechts Kaminski. Es riecht nach Sauerkraut. Neun Stufen, Absatz, diesmal sind es mickrige Geranien, neun Stufen, links Karrer, rechts Hollmann. Die Tür ist zugefallen und er hat keinen Schlüssel mitgenommen. Er muss klingeln.
    Die Mutter öffnet ihm, eingehüllt in Spinatgeruch. »Der Papa ist schon da.«
    Herbert deckt den Tisch in der Küche. Die Tischdecke hat an seinem Platz einen braunen Soßenfleck. Herbert dreht sie schnell um, so dass der Fleck an die andere Seite des Tisches kommt, dorthin, wo sein Vater sitzt.
    Der Vater sitzt auf seinem Stuhl, etwas zurückgelehnt, mit vorgewölbtem Bauch. Sein Hosenbund ist nach unten gerutscht. Er liest den Sportteil der Zeitung. Herbert wartet darauf, dass er etwas sagt, er will wissen, wie der Vater gelaunt ist, er will sich darauf einstellen können.
    Einen Hunger hab ich heute, wird er vielleicht sagen. Wie gut, dass es Spinat gibt, Barbara, das ist genau richtig. Das ist das Gute an meinem Beruf, dass ich zum Essen heimkommen kann. In der Wirtschaft ist es teuer und schmeckt nicht besonders. Außerdem weiß man nie, wer seine Finger im Essen gehabt hat, bei den vielen Gastarbeitern.
    So oder ähnlich wird er reden, wenn er gut gelaunt ist. Dann kann Herbert in Ruhe essen, es wird nichts passieren. Aber wenn er über die Autofahrer schimpft, über die anderen Taxifahrer, über seinen Chef, der sich auf Kosten der Arbeitskraft anderer bereichert, dann muss Herbert auf der Hut sein, aufpassen, vorsichtig reden, am besten gar nicht, damit er den Vater nicht noch mehr reizt.
    Der Geruch nach Bratwurst ist jetzt stärker als der Spinatgeruch. Herberts Magen beruhigt sich.
    »Mach das Fenster auf, dass der Rauch abzieht«, sagt die Mutter.
    Herbert öffnet das Fenster.
    »Bist du verrückt geworden?«, fragt der Vater. »Bei der Kälte.«
    Herbert schließt das Fenster.
    Der Vater legt die Zeitung weg. »Ich habe dir was mitgebracht.« Er reicht ihm ein Messer. Ein Klappmesser. Ein schweres Messer, das gut in seiner Hand liegt. Einen Horngriff hat es und Stahlbeschläge.
    Der Vater erklärt ihm die Mechanik. »Diesen Hebel musst du umlegen und draufdrücken, dann klappt das Messer heraus. Schau! Und so steht es fest.«
    Herbert probiert es, spielt an dem Messer herum, lauscht auf das klackende Geräusch, wenn das Messer einschnappt.
    Nur mit einem Messer in der Hand stand Butch vor seinen Feinden. Er war ganz ruhig. Er hatte keine Angst. Er schaute in die schlitzäugigen Gesichter und wusste, dass er siegen würde.
    Herbert lacht. Er ist aufgeregt und glücklich.
    »Hör auf«, sagt die Mutter und stellt die Schüsseln mit Spinat und Kartoffeln auf den Tisch. »Das Essen ist fertig.«
    Vier Bratwürste bekommt der Vater, für Herbert und die Mutter gibt es zwei. Acht durch drei ist zweimal zwei und einmal vier. Zweimal Nichtstun und einmal Arbeit.
    »Dein Vater muss viel arbeiten«, sagt die Mutter.
    Herbert wirft einen Blick auf den Bauch seines Vaters. Er lässt die Hand mit dem Messer leicht in der Luft auf-und abschwingen, dann legt er es neben sich auf den Tisch. Er sticht mit der Gabel in eine Bratwurst und schaut zu, wie der Saft herausquillt und an der braun gebackenen Wursthaut herunterrinnt.
    »Ich habe das Messer im Auto gefunden«, sagt der Vater. »Es muss einem Fahrgast aus der Tasche gefallen

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