Kreuzberg
mit der Volljährigkeit zieht unsere
Tochter vermutlich zu irgendeinem Freund. Der kann man nicht mehr kommen mit
Familie. Aber meinetwegen – solange Siggi nach seiner Haftstrafe nicht mit
einzieht in die gemeinsame Wohnung –, warum nicht?
Wir sind
dann zu Monika nach Hause gegangen. Sie hat zwei Flaschen Rotwein geöffnet. Und
was passierte dann?
Keine
Ahnung.
Immerhin
weiß ich jetzt wieder, wo ich bin. Die zwei leeren Rotweinflaschen stehen noch
auf dem Esstisch, und über mir hängt der hässliche Kronleuchter. Jetzt erkenne
ich ihn. Er war schon da, als Monika hier einzog. Sie hat ihn nie abgenommen.
Also wird
auch der Anruf für Monika sein. Offenbar etwas Dringendes, denn das Telefon
hört nicht auf zu läuten. Aber wer, verdammt noch mal, ruft um diese Zeit
an? – Siggi? Hat er was vergessen? Darf man im Knast so spät überhaupt
noch telefonieren? Die machen doch eigentlich pünktlich Nachtruhe.
Ich will
mich aufrichten, doch es gelingt mir nicht. Der Whisky zeigt noch Wirkung. Das
Telefon steht etwa vier Meter weiter auf dem Fußboden. Um es zu erreichen,
müsste ich darauf zurobben. Ich will mich gerade in die entsprechende Bauchlage
bringen, als zwei übergroße Mickey-Mouse-Pantoffeln aus Plüsch an mir
vorbeischlurfen. Kurz darauf höre ich, wie der Telefonhörer abgenommen wird.
Das Klingeln hört auf.
»Weißt du,
wie spät es ist?« Monikas Stimme klingt müde und vorwurfsvoll. »Ja, er ist bei
mir, aber ich weiß nicht, ob er ansprechbar ist. Wir hatten was zu feiern.«
Tatsächlich?
Ach! Eine Feier also …
Nachdenklich
schließe ich die Augen. Was, verdammt, haben wir gefeiert? Siggis Freigang?
Einen Lottogewinn? Hatte jemand Geburtstag?
Oh!
Natürlich … Der Geburtstag, sicher, plötzlich fällt mir wieder ein, was
mich zum Whisky greifen ließ. Denn dieser Geburtstag steht uns noch bevor.
Monika ist wieder schwanger. Irgendwann rückte sie damit raus. Sie erwarte ein
Kind von mir. Der Test sei eindeutig gewesen. Deshalb das Gefasel von
gemeinsamer Wohnung und Familie.
Babygeschrei,
vollgeschissene Windeln und durchwachte Nächte. Mein ganzes Leben steht Kopf.
Fortan werden sich unsere Gespräche nur noch um das Kind drehen. Ich kenne sie
doch, diese frischgebackenen Eltern, die kein anderes Thema mehr kennen als ihr
Baby. Da wird dann jedes Gebrabbel als enorme Geistesleistung gefeiert. Wir
werden uns in PEKIP -Gruppen anmelden und besorgt unseren
Nachwuchs mit den Zöglingen anderer Eltern vergleichen; welches Kind kann
zuerst sitzen, welches krabbeln? Wann kommen die ersten Zähnchen, und sind
Schnuller nicht total schädlich? Auch Babybreie bieten heißen Diskussionsstoff,
nimmt man die günstigen aus dem Discounter, oder bereitet man sie mit Biogemüse
doch lieber selbst zu? Und wie lange soll frau die Kinder an die Brust lassen?
»Du freust
dich ja gar nicht.«
Schatz, der
Eindruck täuscht. Aber im Gegensatz zu werdenden Müttern bekommen werdende
Väter keine Hormonschübe, die sie glückselig grinsen lassen, als hätten sie
eine Überdosis Fluctin genommen. Wir nehmen unsere Verantwortung anders wahr.
Geh nur mal sonntags auf den Kleinkinderspielplatz im Heinrich-Lassen-Park: Da
siehst du sie dann, übereifrige Väter, die stundenlang Rutschen und Schaukeln
für andere Kinder blockieren, nur weil der eigene Racker sich nicht entscheiden
kann.
»Mut,
Junge, nur Mut, eine Rutsche tut nicht weh.« Dann machen sie es vor. »Das macht
großen Spaß, und Papa passiert nichts, siehst du? Dann passiert dir auch
nichts, hab keine Angst, mein Großer.«
Aber das
Kind will lieber im Sandkasten spielen. Wenig später stehen sich dort erwachsene
Männer mit hochroten Gesichtern gegenüber und bedrohen sich gegenseitig mit
Anwaltsklagen, weil die Eigentumsfrage irgendwelcher Buddeleimer nicht
zweifelsfrei geklärt ist. Neulich soll es sogar zu einer handfesten Prügelei
gekommen sein. Es ging um Erziehungsfragen, feindliche Ideologien trafen
aufeinander und wurden lautstark ausgefochten, während die Kleinen fröhlich
glucksend über den Spielplatz krochen und sich höchst interessiert weggeworfene
Zigarettenkippen und hart getrockneten Hundekot in die sabbernden Münder
schoben.
Überhaupt,
Hundebesitzer. Ähnlich wie Raucher, Biertrinker, Auto- und Radfahrer gehören
sie zum Feindbild. Vaterschaft ist Leidenschaft. Jeder, der die Sicherheit
unseres Nachwuchses bedroht, wird erbarmungslos gejagt. High Noon wie im Wild-West-Film. Diese Stadt ist zu klein für uns zwei, old
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